AUTOREGULATIVE RÄUME

eine Biofeedbackinstallation von alien productions (Andrea Sodomka / Martin Breindl / Norbert Math)

von alien productions / Martin Breindl, Dezember 1999


AUTOREGULATIVE RÄUME ist eine Installation, die diskrete introvertierte Prozesse eines menschlichen Körpers in den ihn umgebenden Raum projiziert. Eine multifunktionale Sensorik misst Körperdaten jeder BenutzerIn und überträgt sie an ein computerunterstützes Biofeedbacksystem, das sie in einen MIDI-Datenstrom übersetzt. Dieser Strom steuert in Echtzeit Klang- und Bildprojektion im Raum.

Die extreme Extraversion intensiviert die Wahrnehmung sich permanent verändernder autoregulativer Prozesse im eigenen Körper. Die Feedbackschleife erlaubt es jedem Menschen, den Raum wie ein Instrument zu spielen - indem er mit seinem eigenen physischen Datenstrom improvisiert. Das permanente Pendeln zwischen Konzentration und Entspannung ist der einzige Auslöser des Geschehens.

 

DIE INSTALLATION

AUTOREGULATIVE RÄUME ist eine Installation an der Schnittstelle von Kunst, Wissenschaft und Technik. Die schwierige Thematik einer echten Interaktion zwischen neuralen (den Gesetzen der Biologie) und mediatisierten (den Gesetzen der Technologie gehorchenden) Systemen, wobei vor allem deren wechselseitige Beeinflussung das zentrale Element darstellt, erfordert eine Versuchsanordnung, die nur in grenzüberschreitenden Denk- und Arbeitsmodellen ermöglicht wird. In diesem Fall sind es biomedizinische Forschung, Wahrnehmungstheorie und -praxis der Kunst und Entwicklungen der Digitaltechnologie. Erst der wechselseitige Erfahrungsaustausch zwischen diesen Disziplinen und das Übergreifen struktureller Entwicklungen auf die Methodiken der jeweiligen ArbeitspartnerInnen bilden die Grundlagen für ein Werk, das sich aufgrund seines hybriden Charakters in logischer Folge auch einer eindeutigen Kategorisierung entzieht: AUTOREGULATIVE RÄUME ist genausowenig eine reine Kunstinstallation, die sich technischer Methoden bedient, wie eine künstlerisch gestaltete Biofeedbacktherapiestation; sie lässt sich in verschiedenen Umgebungen anwenden und in verschiedene (künstlerische, biomedizinische, technische und andere) Zusammenhänge sinnvoll einbinden.

AUTOREGULATIVE RÄUME ist auch kein abgeschlossenes Werk, sondern ständig in (Weiter-)Entwicklung begriffen. Die Installation ermöglicht eine Vielzahl von Szenarien und lässt die Integration einer Vielzahl Neuer Technologien zu. Veränderungen auf diesen Gebieten fliessen wiederum in die Installation zurück. So können unterschiedlichste Manifestationen einer Matrix entstehen, die einander oberflächlich kaum ähneln und doch dem identen Datentransfermuster zugrunde liegen.

 

DIE ELEMENTE DER FEEDBACKSCHLEIFE

Das zentrale strukturelle Motiv der Installation ist eine Endlos-Feedbackschleife zwischen Mensch, Computer und (gestaltetem) Umgebungsraum, wobei jedes dieser Elemente als Interface zwischen den jeweils beiden anderen fungiert. Veränderungen in diesem System basieren auf Schwankungen, die durch den übergreifenden Reiz-Reaktions-Mechanismus ausgelöst werden. Man kann die Gesamtsituation (inclusive BenutzerIn) auch als System in labilem Gleichgewicht betrachten, das sich als permanenter Transfer von Datenströmen manifestiert: biomedizinische Daten (wie Puls, Hautleitwert, Körpertemperatur) des Menschen werden über die Sensorik erfasst und an ein Computersystem übertragen, das sie in digitale Steuerdaten für Klang- und Bildmaschinerie übersetzt. Diese produzieren wiederum akustische und optische Signale, die in den Raum projiziert werden. Die Wahrnehmungssensorik des Menschen registriert diese Signale, die wiederum als unmittelbare Reize auf das vegetative Nervensystem wirken. Dessen Reaktion verändert die biomedizinischen Daten - die Schleife ist geschlossen.

Eine echte Feedbackschleife entsteht jedoch nur bei Verwendung exakter adaptiver Systeme in möglichst vielen Bereichen. Um die feinen Schwankungen des menschlichen Nervensystems und der durch sie ausgelösten Ereignisse transparent zu machen, benötigt man in Messtechnik, Umsetzung und Bild- und Klangerzeugung eine Peripherie, die nicht fixe Voreinstellungen (Presets) abspielt, sondern parametrische Veränderungen zulässt.

Im Bereich der biomedizinischen Technologie stellt dies das computerunterstütze Biofeedbacksystem SOFT®med von INSIGHT INSTRUMENTS aus Wien dar. Es kombiniert die multimedialen Techniken des Personal Computer mit Mikrosensortechnologie und adaptiven Messtechniken - mit dem Ziel, die Lücke zwischen Medizin und Psychologie zu schliessen. Die (auch künstlerische) Auseinandersetzung mit Interfaces zwischen Mensch und Maschine erhielt durch die Entwicklung von computer-aided Biofeedbackinstrumenten eine neue Dimension. Waren bislang nur analoge Umsetzungen menschlicher Körperdaten - Verstärkung einerseits, diverse (Bewegungs)Sensorik andererseits - möglich gewesen, erlaubt computer-aided Biofeedback den direkten Eingriff in physiologische Datenströme.

Im Bereich der digitalen Bild- und Klangprojektion sind vor allem die in den letzten Jahren entwickelten Echtzeitmanipulationsverfahren nutzbar. Gerenderte 3D-Szenarien (im Bild), die von den Körperdaten bewegungsanimiert werden, sowie die Prinzipien von Physical Modelling und Granularsynthese (im Klang) werden bei AUTOREGULATIVE RÄUME verwendet.

Die künstlerische Aufgabe besteht im zusammenführenden Gestalten dieser Einzelsysteme zu wahrnehmbaren (d. h. ästhetischen) Ereignissen, die es den BenutzerInnen erlauben, ein körperliches Gefühl für diesen Raum (d. h. das Gesamtsystem) zu entwickeln, mit ihm improvisieren zu können. Eine neue Form von Virtuosität entsteht, eine, die virtuell in jeder Person vorhanden ist.

 

DAS SETTING FÜR DAS EUROPÄISCHE FORUM ALPBACH 99

Der abgedunkelte Saal Liechtenstein im Kongresshaus Alpbach. In seinem Zentrum ein bequemer Stuhl, in dem BesucherInnen Platz nehmen können. An der Stirnwand eine grossflächige Datenprojektion, die ein Default-Setting zeigt: die Darstellung einer Kugel, die von einer langsam rotierenden Spirale durchschnitten wird. Durch das Anlegen eines multifunktionalen Fingersensors, der Pulsfrequenz, Hautleitwert (d. i. eine Kombinationsmessung aus Körpertemperatur und Hautfeuchtigkeit) misst, vernetzt sich der/die BesucherIn mit dem System.

Dieses beginnt auf den individuellen physiologischen Datenfluss jedes/r Besuchers/In zu reagieren. Pulsfrequenz und Hautleitwert werden in MIDI-Daten umgewandelt und an die bild- und klangerzeugenden Maschinen weitergeleitet. Der/die BenutzerIn beeinflusst über seine/ihre Körperreaktionen das Ergebnis.

Der Klang: Eine - durch die Digitaltechnologie des Physical Modelling erzeugte - Klangsimulation einer Metallplatte, auf die Wassertropfen fallen, wird in den Raum projiziert. Die Pulsfrequenz steuert den Rhythmus der Tropfen, der Hautleitwert beeinflusst sowohl die Stärke der Schläge als auch die Spannung der virtuellen Metallplatte.

Das Bild: Die projizierte Kugeldarstellung an der Stirnwand beginnt sich zu bewegen. Die Körperdaten der BenutzerInnen beeinflussen die virtuellen Lichtquellen und die Stärke der Bewegung. Konzentration und Nervosität bewegen das Objekt auf den/die BetrachterIn zu, Entspannung distanziert es wiederum. Ein MIDI Picture Sequencer, der die Daten triggert, und die Technogie von Virtual Reality mit ihren Möglichkeiten von Texture Mapping und 3D Visualisierung ermöglichen diese komplexen Rechenleistungen in Echtzeit.

Für die spezielle Situation des Europäischen Forums Alpbach 99 zum Thema "Geist, Materie, Bewusstsein" und dem zu erwartenden Fachpublikum aus Wissenschaft und Politik wurde die von alien productions bevorzugte Präsentationsform gewählt: die sogenannte "Therapy Session", eine von den KünstlerInnen vor Ort betreute Installation. Dem Publikum wurde vor Benutzung der Installation das Prinzip individuell erklärt, es wurde während der Sitzung betreut und im Anschluss über seine Erfahrung gesprochen. Zusätzlich wurde eine technische Möglichkeit geschaffen, "Datenportraits" der BenutzerInnen zu erstellen, d. h. Ausschnitte des physiologischen Datenstroms abzuspeichern und auszudrucken: als Portrait einer bestimmten Person in einer speziellen Situation in einem bestimmten Zeitfenster.

 

DIE ERFAHRUNGEN AUS DER INSTALLATION BEIM EUROPÄISCHEN FORUM ALPBACH 99

Die langjährigen Erfahrungen mit Biofeedbackinstallationen in verschiedensten Situationen und Zusammenhängen haben gezeigt, dass wir ein Instrument entwickelt haben, das sehr fein auf individuelle Gegebenheiten reagiert und sich darauf einstellt. Mit anderen Worten: Jede/r BenutzerIn verändert den Raum auf seine/ihre ureigene persönliche Art, gestaltet ihn auf unverwechselbare Weise immer wieder neu. Es gibt keine zwei Situationen, die einander gleichen.

Trotzdem gibt es ein grundlegendes "Ablaufmuster", das man - mit wenigen Ausnahmen - hinter den individuellen Manifestationen immer feststellen kann: Wird eine Person mit der ungewohnten ästhetischen Erfahrung der Installation zum ersten Mal konfrontiert, reagiert sie zunächst in einer 1. Phase mit sehr heftigen Schwankungen ihrer physiologischen Datenströme. Der Versuch, die neuen Reize zu verarbeiten, führt normalerweise in der 2. Phase zu einer nochmaligen Intensivierung dieser Schwankung. Erst dann beginnt sich allmählich das körperliche Gefühl dafür einzustellen, welche Konzentrations- und Entspannungstechniken zu Veränderungen in der Raumsituation führen (3. Phase) - die Person erreicht ihren ureigenen "Flow". Die Kurven flachen ab, es wird ein gewisses Spannungsplateau erreicht; dieses bildet sozusagen die Basis für Improvisationen, die jedoch nicht mehr die anfängliche Schwankungsintensität erreichen. Je gewohnter der Reiz für die Person wird, desto entspannter (und vielleicht auch souveräner) geht sie mit der Gesamtsituation um.

Auch Personen, die bereits Erfahrungen mit Biofeedbacktherapien haben oder diverse Meditationstechniken beherrschen, weisen üblicherweise dieses Muster auf. Individuelle Gegebenheiten variieren die Schwankungsbreiten und Zeitdauern der einzelnen Phasen zwar stark, ändern jedoch den Ablauf nicht im Grunde.

Beim Europäischen Forum Alpbach zeigten sich hingegen erstaunliche konsistente Abweichungen im Ablaufmuster zweier Personengruppen, für die noch kein Erklärungsmodell gefunden wurde. Die erste Gruppe umfasst im Wissenschaftbetrieb tätige Personen, vorzüglich Geistes-, Grund- und IntegrativwissenschafterInnen sowie NeurophysiologInnen und -psychologInnen. Hier zeigte sich tendenziell, dass die anfängliche Schwankungsintensität nie nachliess. In der 3. Phase stellte sich zwar eine gewisse Neigung zur Regelmässigkeit in der Frequenz ein, die Amplituden minimierten sich jedoch kaum bzw. blieben gleich. Es scheint, als hätte der Gewöhnungseffekt an die Situation hier nicht wie üblich zu Entspannung (und damit zum Abflachen der Kurve) geführt, sondern im Gegenteil zu erhöhter Aufmerksamkeit. Es mag dahingestellt bleiben, was die Gründe für dieses Phänomen sind - sei es bewusste Experimentierfreudigkeit, intuitive Nichtakzeptanz einer Situation als unveränderlich Gegebenes oder anderes.

Ein völlig gegenläufiges Phänomen trat bei der Gruppe der BerufspolitikerInnen und DiplomatInnen auf. Hier war die Intensität der Reaktion in den beiden ersten Phasen (Konfontation mit Neuem und erster Verarbeitungsversuch) in Zeitdauer und Amplitude stark minimiert, bzw. fehlte ganz. Beinahe augenblicklich wurde das Plateau der 3. Phase erreicht, das sich auch nie mehr änderte. Die Schwankungsvarianzen dieser Phase wiesen auch ganz geringe Amplituden auf, die Frequenz eine hohe Regelmässigkeit. Hier liegt die Vermutung nahe, dass es sich um die Kombination zweier für diese Berufsgruppe ausschlaggebender Fähigkeiten handelt: erstens die Fähigkeit, ungewohnte Situationen rasch zu verarbeiten, und zweitens mit diesen Situationen souverän und ohne hohen Emotionalitätsfaktor umzugehen.

Die Installation AUTOREGULATIVE RÄUME in ihrer strukturellen und formalen ästhetischen Komplexität kann eine Versuchsanordnung sein, die Auffälligkeiten entdeckt und feststellt, sie kann sie nicht im Grunde erklären - dies ist die Aufgabe anderer Wissensgebiete. Diese können die Erfahrungen einer biomedizinischen technästhetischen Apparatur nutzen und sie wiederum in spartenübergreifender Arbeitsweise in ihre eigenen Forschungsergebnisse einbringen. Dann können vielleicht Antworten gefunden werden auf die Fragen, die die Installation aufwirft.


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Dieser Text wurde publiziert in: Materie, Geist und Bewusstsein / Europäisches Forum Alpbach 1999. Hrsg. von Heinrich Pflusterschmid-Hardtenstein. – Wien: Ibera Verlag, 2000