DAS MODELL

Anhand der Attribute (das Buch, die Trompete und der Lorbeerkranz), die 1593 in der "Iconologia" des Cesare Ripa (eine Anleitungen zur Darstellung allegorischer Figuren) beschrieben sind, lässt sich das Modell als "Klio", die Muse der Geschichtsschreibung, identifizieren. Sie erhält durch die gesamte Gestaltung des Bildes (Fluchtpunkt, Lichtführung) eine ausgezeichnete Stellung. Deshalb ist ihre Rolle im Bild und ihr Verhältnis zum Maler besonders interessant.

Die Darstellung der Muse mit einem Künstler bedeutet traditionell dessen Inspiration, wobei zumeist ein Verhalten der Muse auf deren aktive Rolle im Vorgang der Inspiration hinweist. Vermeers Klio aber verhält sich passiv. Zudem tritt sie im Bild kaum als Allegorie, als olympische Erscheinug einer anderen Welt auf, denn offensichtlich handelt es sich um ein Modell, das nach der Anleitung des Malers als Klio posiert. Nicht nur die Darstellung der Darstellung und die zahlreichen Verweise durch die gezeigten Gegenstände reflektieren über die Position der Malerei: ganz offensichtlich ist sie es, die sowohl im Verhältnis zu anderen Künsten und anderen Handwerkszünften die führende Rolle übernommen hat.

Sie setzt sich in der "Malkunst" auch als eigengesetzliches System der Geschichtsschreibung, d. h. der Aufzeichnung und Wiedergabe der Welt und ihrer Bedeutungen in Szene. Es ist der in seine Arbeit vertiefte Maler - von dessen Bildung seine Umgebung zeugt -, der aus sich heraus ein Bild der Geschichte formt, ohne von einer Eingebung abhängig zu sein.