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Werner Fenz, Embedded Systems

CD-ROM-Text über die Installation Embedded Systems bei "2000 minus 3 - ArtSpace plus interface / Steirischer Herbst 97"


Die von Sodomka/Breindl/Math unter der Produktionsfirma veröffentlichte Arbeit mit dem Titel "Embedded Systems" stellte ein komplexes Netzwerk aus technologisch geprägten Alltagsrealitäten in Objektform, aus dem interaktiven Web-Raum, aus der Kapazität von Programmiersprachen und deren einerseits räumlich erfahrbaren, andererseits von den Steuerungselementen aus betrachtet ausgelagerten Raumsituation her. Konzentriert wurde dieses ineinandergreifende, von unterschiedlichen Vektoren bestimmte neue Raumsystem auf die Intelligenz trivialer Alltagsgegenstände, die wir täglich, vor allem im Haushalt, verwenden.

Ursprünglich für eine zugängliche Wohnung geplant, wurde die Installation letztlich im Innenstadt-Kaufhaus Kastner+Öhler verwirklicht. Der Ortswechsel führte nur graduell zu einer Verschiebung des Konzepts. War zuerst das Ambiente des Gebrauchs als ortsspezifisches Charakteristikum von Bedeutung, so konzentrierte sich in Folge der Schwerpunkt auf den Handelsort dieser Objekte. Eine Nähmaschine, ein Küchenblock mit den üblichen Gerätschaften, Licht- und Tonanlagen wurden über die eingebauten Chips neu programmiert. Das Team ging von der Tatsache aus, daß die in den Chips angelegte Intelligenz in der tatsächlich ausgeführten Tätigkeit bei weitem nicht voll ausgereizt ist. Die neue, weitaus umfangreicher einsetzbare Programmiersprache "Java" sollte dem Abhilfe verschaffen.

ALIEN PRODUCTIONS hat zwei unterschiedliche Setups aufgebaut: Einmal die erweiterte Programmierung der Geräte, die sie aus ihrem standardisierten Gebrauch befreit, ihnen neue ungewöhnliche Funktionen zuordnet und sie auf ihrer Intelligenzebene, der elektronischen, untereinander vernetzt. Zum anderen die Übertragung dieses symphonisch entwickelten Steuerungssystems ins Internet, wo ein Eingriff in die einmal festgelegte Partitur möglich war. Die Betrachtung der Installation war demnach in zwei Raumbereiche aufgesplittet worden: in den einen am Ausstellungsort selbst und in den anderen im Internet, also in einen realen, vor Ort einsehbaren, aber nicht steuerbaren, und in einen virtuellen, nicht einsehbaren, aber interaktiv gestaltbaren Bereich.

"Embedded Systems" stellte sich als eine Realfiktion heraus, die eine Netzwerksituation inszeniert, in der viele Einzelintelligenzen kommunikativ interagieren. Der Internet-User ist dabei keine über-, sondern eine gleichgeordnete Intelligenz. Er bewirkt in etwa gleich viel, wie die Waschmaschine oder der TV-Apparat. Er befindet sich in eben dieser Realität. Ganz im Gegensatz zum Besucher der realen Installation, der dieser Realität nur ausgesetzt ist. Obwohl physisch präsent, ist er der einzige, der außerhalb der kommunikativen Möglichkeiten bleibt und somit außerhalb der Wirklichkeit. Nicht Zugriff zu haben auf das Informations- und Datennetz bedeutet, von der Realität ausgeschlossen zu sein. Man kann Vorgänge zwar beobachten, diese aber nicht beeinflussen. In der ständig umfangreicher und vielschichtiger mediatisierten Welt stellt der Zugang zu Informationsstrukturen und Nachrichtenübermittlungen den entscheidenden Faktor des Raumerlebnisses und der Partizipation an der Formatierung unserer heutigen Räume dar.

ALIEN PRODUCTIONS hat solche Formatierungen in einem lustvollen und spektakulären Spiel aufgezeigt. Ihre Nachrichten sind Nachrichten über Systeme, die im angewandten Modus ihr Alltagsgesicht zeigen (können). Die praktischen Erfindungen, die in Versandhauskatalogen als Erleichterung der Organisation des täglichen Lebens angepriesen werden und im wesentlichen auf geschickter "erfinderischer" Ausnutzung des enormen elektronischen und digitalen Potentials basieren, bildeten einen aus der Praxis gegriffenen Auslösefaktor. Von ihm ausgehend wurde die partizipatorische Ebene des Nutzers reflektiert und in eine System-zu-System-Beziehung eingeloggt. Eine systemische Bewußtmachung stellte sich im gewählten Übertragungsmodus ein. Im vor Ort verwehrten Zugriff auf die Funktionalität der Objekte spielte das Team, wie man vorschnell meinen könnte, weder die Rolle des Zauberlehrlings, der im Steuerungssystem alle Register gezogen und nun die Bescherung, die er angerichtet hatte, präsentierte, noch schlüpfte es in die Gestalt eines Science-Fiction-Autors, der die drohende und nicht mehr beherrschbare Übermacht der Mikrowelle oder des Staubsaugers über das Menschengeschlecht ausformuliert. Die Verselbständigung der Gebrauchsgegenstände, ihr Aus-der-Rolle-Fallen entpuppte sich als Schauspiel in Parabelform. Der Seitenwechsel von einem Raum zum anderen und die Frage nach der wo und wie konfigurierten Schaltstelle bildete ein Interface zwischen Mensch und Maschine aus. Nicht im Sinne mit dem "Human Interface" verknüpfter, möglicher trivialer Horrorvisionen, sondern auf der Ebene der Parität von Intelligenzen und der Verlagerung von Erfahrungen. In den unterschiedlichen Räumen konnten einerseits die Steuerungssysteme beeinflußt, andererseits deren Ergebnisse beobachtet werden. Der Zugriff ist heute – wie auch an diesem Beispiel gezeigt wird – nur durch die Orientierung innerhalb der "Zentrale" möglich. Die visuell und akustisch erfahrbaren Handlungen bedeuten trotz der sinnlichen Komponente vor Ort einen Wahrnehmungsverlust der eigentlichen Wirklichkeit, die sich in Form von Entscheidungen in den elektronischen und telematischen Raum verlagert hat.


Dieser Text erschien auf der CD-ROM "2000 minus 3 / ArtSpace plus Interface"; Wien, Triton-Verlag, 1999