Anja Helmbrecht, "Wir waren ja nur Mädchen"

Programm-Text über die Installation "Wir waren ja nur Mädchen" von Sodomka/Breindl im Foyer des Residenztheaters des Bayerischen Staatsschauspiels, München; Okt.-Nov. 1999


"Umwelten sind keine passiven Hüllen, sondern eher aktive Vorgänge, die unsichtbar bleiben." (Marshall McLuhan)

"es war ein Eldorado da draußen und der Garten wunderschön." Das waren "die Jahre der Geborgenheit und des Drills" oder "es waren Mauern und wir haben sie damals als Mauern erlebt". Die Erinnerungen sind verschieden. Jede der 111 befragten Klosterschülerinnen, die zwischen 1945 bis zu ihrer Schließung im Jahr 1968 die Ursulinenschule in Linz besucht haben, verleihen ihren Erinnerungen Gestalt. Jede hat ihre Zeit im klösterlichen Gemäuer anders erlebt und natürlich geht jede anders mit ihrer Vergangenheit um. Der Stoff, aus dem die Erinnerungen sind, reicht von der Verklärung bis zum weltlichsten aller Stoßseufzer: "ich wollte einfach nur weg" von hier. Das "serviam" Verdikt des Ordens ist (zum Glück) nicht jeder Schülerin zur Lebensdevise geworden.

Mit welchen Mitteln bringt man ein Haus zum Sprechen? Wodurch gibt man schon lange verklungenen Stimmen einen Raum, damit sie ausgraben, was diesen Ort einst prägte. Die Vergangenheit wiederbeleben, hörbar machen, das Gedächtnis eines Orts akustisch aufdecken, in diesem Spannungsfeld operiert die Hörinstallation Wir waren ja nur Mädchen von Andrea Sodomka und Martin Breindl.

Es geht hier um authentische Feldforschung, die einmal keine Bilder bereit hält. Sodomka und Breindl spüren den Geräuschen, Tönen und Stimmen von damals nach, die in dem alten Klosterbau hängen und sich zwischen Realem und Präsentem bewegen. Ähnlich wie Ilya Kabakov oder Christian Boltanski in ihren Arbeiten immer wieder Eingeschriebenes einer bestimmten Umgebung erfahrbar werden lassen, werden auch die beiden in Wien lebenden Künstler zu Spurensuchern einer längst vergangenen Zeit. Dem gewohnten Geräuschpegel im Foyer werden ab Beginn der neuen Spielzeit 111 Stimmen ehemaliger Klosterschülerinnen hinzugefügt, die abwechselnd von ihren persönlichen Eindrücken Erlebnissen und Erfahrungen erzählen. Sie sprechen leise, denn sie wollen ihre Erinnerungen niemandem aufdrängen. Wer Interesse an ihren Geschichten hat, muß eben genau hinhören.

Anja Helmbrecht


Dieser Text erschien in: ba.sta, Ausgabe Nr. 1, Spielzeit 1999/2000; München, Bayerisches Staatsschauspiel, 1999