KunstarbeiterInnen

Zur Situation aktueller Klangproduktionen

by Andrea Sodomka, September 2001


Die Situationen, in denen wir heute komponieren, produzieren und aufführen haben im wesentlichen nichts mehr mit der Situation zu tun, die sich uns vor nur einem Jahrzehnt gestellt hat. Immer mehr Heimstudios mit professionellem Equipment tauchen auf. Wo es noch vor 15 Jahren nur einige wenige Produktionsstätten für zeitgenössischer Musik gegeben hat, entweder in Rundfunkstationen, Bildungs- oder Forschungseinrichtungen, hat sich heute eine breite Basis von Produktionsstätten etabliert. Viel mehr als jemals zuvor wird produziert, aber auch aufgeführt. Ein großer Raum für alle möglichen Spielformen ist entstanden.

Die Produktion von Musik - vor allem elektronischer Musik, - ist ins Wohnzimmer gewandert, und manchmal auch - wie im Falle von Internetprojekten – die Aufführung. Eine völlig neue Szene von Musikproduzierenden, mit neuen Möglichkeiten und Problematiken, neuen Produktionsformen und Aufführungsszenarien, resultiert zu einem großen Teil aus technischen Entwicklungen, die es uns sowohl in technischer, als auch in finanzieller Hinsicht ermöglichen, Formen, Ideen, Inhalte und Strukturen zu realisieren, in einer Art und Weise, die bis heute nicht vorstellbar war.

Fast alle Bilder, die wir im Kopf tragen, kommen aus den Fernsehgeräten. Diese Bilder sind so zahlreich, sie sind so exotisch, so faszinierend und wirksam. Was ich über diese Welt weiß wurde von medialen Bildschirmen und Hörgeräten produziert. Wir sind eine ganz neue Art von Wesen auf diesem Planet. Wir sind eine Art Cyborg, die eine ganze Kultur aus elektronischen Medien aufgebaut hat. (Robert Adrian X, in: "Deep Blue"; Katalog, Offenes Kulturhaus, Linz 1996)

Ich möchte mich im folgenden Text auf die Situation technologischer Kunst konzentrieren, nicht nur weil sie mein eigener, künstlerischer Bereich ist, sondern auch, weil die Veränderungen, hier am markantesten sind und ,weil wir in einer zunehmend technologisierten Umwelt leben. Ob sich in traditionellen Arbeitsmethoden und Aufführungspraktiken wirklich etwas geändert hat, ist fraglich. Aber die immer stärkere Durchdringung der Syteme und die Invasion technologischer Kunst in traditionelle Systeme hatte sicher auch Auswirkungen auf diese Bereiche. Heute existieren immer mehr und verschiedene Parallelsysteme, traditionelle und solche mit neuen Formen und Inhalten, die einander durchdringen.

Vom neuen KünstlerInnenverständnis zum Verschwinden der AutorInnen:

Die traditionelle Definition von Kunst hat sich aufgelöst. Mit den neuen technologischen Möglichkeiten sind die Künstler nicht länger Randfiguren und Außenseiter. Sie sind in die Mitte der Gesellschaft gerutscht. (Robert Adrian X, in: "Deep Blue"; Katalog, Offenes Kulturhaus, Linz 1996)

Nicht nur in der Musik, in allen Sparten zeitgenössischer Kunst, hat sich das Bild der KünstlerInnen in den letzten Jahren sehr stark verändert. Veränderte Produktionsbedingungen, neue Formen der Präsentation und Aufführung und ein allgemein geändertes Weltbild, sehr stark beeinflußt durch neue Technologien wie das Internet, haben bei diesem Prozess eine maßgebliche Rolle gespielt. Nichthierarchische Strukturen und dynamische Systeme erfordern neue Formen und Arten des Agierens.

Das Schaffen solcher Werke in ihrer inhaltlich / formalen / technischen Komplexität kann sinnvoll nur in der Kommunikation zwischen allen beteiligten Kräften - von Konzeption, Organisation, Gesprächsführung, künstlerischer und technischer Gestaltung bis hin zum realen Setting - erarbeitet werden. KünstlerInnen obliegt die Aufgabe, eine Matrix zu entwickeln, ein Beziehungsgeflecht zu knüpfen, die kreative Menschen aus allen Bereichen zur Arbeit an einem Projekt vernetzt. Und dann sind sie KunstarbeiterInnen. Knoten in einem Netzwerk - genauso wie die TechnikarbeiterInnen und RedaktionsarbeiterInnen und alle anderen. Würde einer dieser Knoten reissen, bedeutete das nicht, dass das Werk besser oder schlechter wäre - es würde schlichtweg nicht existieren. Dieses (veränderte) Selbstverständnis als KünstlerIn ist keines, das ursächlich mit realen technischen Netzwerken wie z. B. dem Internet zu tun hat oder daraus entstanden ist. Sich nicht als SchöpferIn zu begreifen, sondern als Teil eines interagierenden Systems, existiert an sich seit der Erfindung von Kommunikationsmedien (wie Telefon, Telefax oder Funk), bzw. seit dem Zeitpunkt, als KünstlerInnen mit diesen Technologien zu arbeiten begannen. Entscheidend war dabei immer, daß es nie um die Übertragung "ästhetischer" Produkte (wie Musik, Bild, Text etc.) ging, sondern um die Schaffung einer vernetzten Situation, in der aus der Performance von Kommunikation via "ästhetischer" Handlungen eine Community entstehen würde.

Ein neues Instrumentarium:

Eine immer schnellere technologische Entwicklung, neue Programme, schnellere Prozessoren und nicht zuletzt das Eindringen der sogenannten Hochtechnologien in Personalcomputer,und somit auch die relativ leichte Finanzierbarkeit, haben zur Entwicklung einer Reihe von neuen Instrumentarien geführt. Die Produktionsbedingungen und auch Aufführungsbedingungen - zumindest für elektronische MusikerInnen – haben sich dadurch dramatisch geändert. Ein ganzes komplexes Produktionsstudio ist im Laptop integriert - für Konzertsäle, fürs Internet, fürs Radio, fürs Fernsehen. Was noch vor einigen Jahren ein aufwendiges Equipment bedeutete, hat heute in einer Handtasche Platz. Ein Klangeffekt, der vor 15 Jahren eine Rechenzeit von einigen Stunden erfordert hat, funktioniert heute in Echtzeit. Was der elektroakustische Komponist noch vor 10 Jahren in mühevoller, genau überlegter Studio- und Programmierarbeit geplant und komponiert hat, ist heute mitunter innerhalb von Stunden realisiert. Die gesamte klingende Welt ist Material und sofort verfügbar. MusikerInnen organisieren ihre Kreationen in Online Archiven und Klangdatenbanken.

Generative Systeme und Autoregulative Prozesse:

Neue Ordnungssysteme in der Klangproduktion sind generative Systeme,quasi sich selbst erschaffende und sich aus winzigsten Klangpartikeln immer wieder erneuernde Strukturen. Vielleicht sollte man hierbei eher von einem "Ereignispattern" sprechen, das sich selbst ständig aus aktiven akustischen, optischen und textualen Aktionspartikeln neu definiert - immer im Zustand eines labilen Gleichgewichts. Ein autoregulatives System. Formen wie diese erfordern natürlich eine vollkommen andere Herangehensweise an eine Komposition als wir es bis jetzt gewöhnt waren. Eine wichtige Überlegung in diesem Prozess ist folgendes:

Control Sharing zwischen Mensch und Maschine:

In einer nicht-hierarchischen Struktur haben alle TeilnehmerInnen gleiche Rechte: KünstlerInnen, UserInnen, Maschinen. Ein Schritt in diesem Prozess ist die Öffnung des Systems für alle NutzerInnen, für alle, die daran teilnehmen wollen. Wir haben gelernt, dass es durchaus möglich ist, in einem Projekt offene Strukturen zu schaffen ohne die Kontrolle über die Grundidee bzw. das Konzept zu verlieren.

Wenn man Maschinen als Partnerinnen und nicht nur als ausführende Werkzeuge akzeptiert, nicht nur als Befehlsempfängerinnen sondern als Teil eines Gesamtorganismus, tut man einen weiteren Schritt. Es geht nicht um die Glorifizierung von menschenähnlichen Robotern oder um die maschinelle Imitation von menschlichen Fähigkeiten, sondern um die Maschine als Partnerin mit ihren eigenen Möglichkeiten, Unvollkommenheiten und Bugs – als Mit- und Zusammenspielerin in einem Teamwork-Prozess. Kommunikation zwischen uns und Maschinen in einem generativenSystem heisst, dass manchmal wir die ZuhörerInnen sind und manchmal sind es die Maschinen.

Eine Maschine war kein Mensch, keine Urheberin ihrer selbst, nur eine Karikatur dieses reproduktiven Traums abstrakter Männlichkeit. Schon der Gedanke, daß es anders sein könnte, wäre paranoid gewesen. Heute sind wir nicht mehr so sicher. Die Maschinen des späten 20. Jahrhunderts haben die Differenz von natürlich und künstlich, Körper und Geist, selbstgelenkter und außengesteuerter Entwicklung sowie viele andere Unterscheidungen, die Organismen und Maschinen zu trennen vermochten, höchst zweideutig werden lassen. Unsere Maschinen erscheinen auf verwirrende Weise quicklebendig - wir selbst dagegen aber beängstigend träge. (Donna Haraway, Ein Manifest für Cyborgs, Feminismus im Streit mit den Technowissenschaften (1984) In: Donna Haraway, Die Neuerfindung der Natur; Primaten, Cyborgs und Frauen; Frankfurt/Main, New York: Campus Verlag, 1995)

Zu Arbeiten in Netzwerken:

Konzerte und Projekte, die live im Internet stattfinden, erfordern große Kommunikations- und Improvisationsfähigkeit. Wenn musikalischen PartnerInnen nicht am selben Ort agieren, sondern unter Umständen tausende Kilometer weit entfernt, bedarf es einer völlig neuen Form von Zusammenspiel.

Verbindliche Kriterien eines solchen dynamischen Systems zu finden, ist naturgemäß sehr schwierig und verlangt ein hohes Maß an Sensibilität und Bereitschaft, Veränderungen zu akzeptieren. Als KünstlerIn muß man Netzwerke als etwas begreifen, das aktiv ist, und in dessen Aktivität man seine eigene ästhetische Aktivität einfließen lassen muß. Netzwerkarbeiten sind immer Gemeinschaftsproduktionen verschiedenster Kräfte, die über reines Teamworking weit hinausgehen: Jene KünstlerInnen sind - in Netzwerkkategorien - die konsequentesten, die sich als UserInen unter vielen begreifen. Jene, die ihre ästhetische Aufgabe in der Schaffung einer Netzwerkkonfiguration sehen, die möglichst interessante - also gute Kommunikation ermöglicht. Und jene, deren ins Netz gespeiste Ideen erst im andauernden Datentransfer der weltweiten Community zum Werk werden. Der/die KünstlerIn ist nicht mehr nur SchöpferIn eines Werkes, sondern auch dessen Prozessor. (Martin Breindl, lo –res vs. hifi; Positionen 31, Beiträge zur Neuen Musik, Berlin, 1997)

Von der Intermedialität zur Durchlässigkeit der Medien:

Immer mehr Individuen werden multi-disziplinär...
... Wir werden ZeugInnen einer umfassenden Integration von Technologien und Systemen. Indem diese Integration stattfindet, werden die Dinge immer interessanter. Die seltsamsten Gerätschaften paaren sich. Wir wohnen einer Hochzeit nach der anderen bei, zwischen Maschinen, die bislang inkompatibel waren... So ist es auch kein Zufall, dass sich die Grenzen zwischen den künstlerischen Disziplinen auflösen. (Tom Sherman, Message to "Electro Culture"; In: Video by Artists 2, Toronto, Art Metropole, 1986 (p. 149))

Durch die immer häufigere Verwendung von Computern in der aktuellen Kunstproduktion passiert automatisch eine Durchdringung der Medien. In einer Parallelität von Systemen definieren die Ziele des jeweiligen Projekts die Strategien der Produktion. Und das Medium wird nach den Bedürfnissen des Ziels ausgesucht.

Aufführungsorte:

Die Idee der Konzerthalle, der Galerie und des Museums ist ein Versuch zu leugnen, daß wir Medienkreaturen sind, im Sinne von elektronischen Medien, von Übertragungsmedien. (Robert Adrian X, in: "Deep Blue"; Katalog, Offenes Kulturhaus, Linz 1996)

Ein größeres Interesse des Publikums an ungewöhnlichen Aufführungsorten und die Überschreitung der Grenzen zwischen den verschiedenen Musikgattungen, vor allem der Grenze zwischen der sogenannten Ernsten Musik und der Unterhaltungsmusik, die hier zu Lande traditionell streng eingehalten wird, führte, zu neuen Möglichkeiten. Der öffentliche Raum, das Internet, sämtliche Übertragungsmedien, Telefon, Fax Handys, Radio, Fernsehen, Wohnzimmer, Lokale, Clubbings – alles wurde zur Bühne.

Zukunftsvisionen:

Digitale Charaktere als Interpreten und Sänger in virtuellen 3D Aufführungswelten. Zahlreiche frei verfügbare Klangdatenbanken und OnlineArchive für vernetzte Produktionen. Kommunikationsgeräte (Handys, etc.) als Schnittstellen für Online Produktionen. Für unsere heutigen Begriffe unbegrenzte Rechnerkapazität. Immer stärker das Internet als Bühne, Produktionsplattform, Informationssystem und Vertriebsmöglichkeit. Vernetzte und multimedial ausgerüstete Aufführungsorte als Standardeinrichtungen. All das sind Visionen einer nicht mehr sehr fernen Zukunft, die wiederum einer neuen Reflexion bedürfen, sowohl von den Kunstproduzenten, als auch von ihren Rezipienten.

Einige Überlegungen in diesem Text stammen aus einem Textfundus, den alien productions ( Martin Breindl, Norbert Math, Andrea Sodomka ) für eine interaktive Textmaschine angelegt haben.


Dieser Text erschien in: Österreichische MUSIKZEITschrift, 56. Jg., Heft 10/2001, Wien, 2001