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Kunst <und> Internet

by Martin Breindl, April 1997


Durchschnittlich verdoppeln sich die Aktivitäten im > World Wide Web alle zwei Monate. Das Netz selbst wächst jeden Monat um fast zehn Prozent. Beinahe täglich werden neue Programme und Applikationen lanciert, Technologien verändern sich ständig. Was vor etwa drei Jahren nur einer kleinen Schar von Computerfreaks und -kids ein Begriff war, hat sich mittlerweile zu einem riesigen Paralleluniversum entwickelt, das nach und nach jenes Phänomen zu regieren beginnt, das wir Wirklichkeit nennen: kein Gebrauchtwagenhändler mehr, der seine Kollektion nicht über seine Homepage anbietet, kein PC-Benützer ohne E-mail Adresse. Und kein Ende abzusehen. Das einzige, dessen man sich beim Einloggen jedes Mal gewiß sein kann, ist, daß das Netz mit Sicherheit nicht mehr so aussieht, wie man es verlassen hat.

Wenn man über > Kunst im Internet <genauer gesagt: im WWW - jenem öffentlichen Teil des Netzes> spricht, muß man sich dessen bewußt sein, daß man es mit einem sich ständig verändernden System zu tun hat, mit einer Technologie, die noch zu neu ist, als daß Handlungsweisen, Strategien oder Regeln schon festgeschrieben wären - mehr noch: daß es sich wahrscheinlich um ein System handelt, dessen kommunikative Struktur an sich schon ein Festschreiben verhindert. Jeder \künstlerische\ Akt im Netz ist eine offene Handlung, ein nicht abgeschlossener Satz, der - einmal plaziert - ein Eigenleben gewinnt, sich verändert, ausbreitet, andere Formen annimmt, jedoch auch nie verloren geht. Das Netz ist kein Substantiv, sondern ein Verb - etwas Lebendiges, das grundsätzlich und ursächlich immer "in Beziehung setzt" und dadurch ein neues Verständnis von Identität evoziert: Identität ist nicht das > Werk, das bereits geschaffen wurde und somit statisch ist, sondern die > Idee, die in das Netz eingespeist und durch das Netz verändert wird. Das ist gut so, denn das heißt: die Idee wächst. Die Umgebung (>das Netz) beeinflußt die Idee, die wiederum ihre Umgebung (<das Netz) beeinflußt. Diese Interaktion ist das Wesen der Webexistenz an sich.

//: Und das im doppelten Sinn des Wortes:
die Existenz des Netzes, die Existenz im Netz ://

Kunst im Internet zu produzieren heißt Abschied nehmen von jeglicher Form traditioneller Werkbegriffe und -kategorien, vom landläufigen Selbstverständnis des Künstlers an sich. Das Netz per se ist - wie bereits gesagt - ein offenes interaktives Kommunikationssystem in Bewegung, und nur unter Berücksichtigung dessen kann wirklich sinnvoll \künstlerisch\ gehandelt werden. Ich spreche also nicht von perfekt gestalteten > Homepages, von den schönen Bildern, Klängen und Animationen, die man dort findet. Stellt man ästhetisch fertige Produkte, die im Grunde auch anderswo (sprich in anderen Medien) existieren könnten, einfach ins Netz, kommt nicht Kunst heraus, sondern bloß ein > Kunstkatalog. Künstlerhomepages, die das WWW als "Produktpräsentationsraum" begreifen, mögen zwar gute Information über Kunst bieten, unterscheiden sich aber durch nichts von der Homepage des Gebrauchtwagenhändlers. Kein Medium, keine damit verbundene Technologie ist neutral. Jedes Medium bietet eigene Möglichkeiten und birgt eigene Bedeutungen - und so verändert das jeweilige Medium die Inhalte, sodaß Form und Inhalt meist untrennbar werden. Form zu begreifen, heißt aber > Kriterien dafür zu finden, nicht sie aus anderen Kategorien zu übernehmen. Und wer seine Arbeit als Künstler ernst nimmt, steht ständig vor der Entscheidung, in welchem Medium die einzelnen Inhalte am besten transportiert werden können. Diese Entscheidung hat mit Wahrnehmung zu tun und ist somit eine ästhetische.

Verbindliche > Kriterien eines dynamischen Systems zu finden, ist naturgemäß sehr schwierig und verlangt ein hohes Maß an Sensibilität und Bereitschaft, Veränderungen zu akzeptieren. Kriterien des Web könnten sein: Es ist ein distribuiertes System, es ist gemeinschaftsstiftend, es ist selbstorganisierend, es ist auf gegenseitige Verbindung aufgebaut, es wächst aus sich heraus. Als Künstler muß man das Netz als etwas begreifen, das aktiv ist, und in dessen Aktivität man seine eigene ästhetische Aktivität einfließen lassen muß. > Netzwerkarbeiten sind immer Gemeinschaftsproduktionen verschiedenster Kräfte, die über reines Teamworking (wie man es beispielsweise aus der Filmbranche kennt) weit hinausgehen: Jener Künstler ist - in Netzwerkkategorien - der konsequenteste, der sich als ein > User unter vielen begreift. Jener, der seine ästhetische Aufgabe in der Schaffung einer > Netzwerkkonfiguration sieht, die möglichst interessante - also gute Kommunikation ermöglicht. Und jener, dessen ins Netz gespeiste Idee erst im andauernden Datentransfer der weltweiten > Community zum Werk wird. Der Künstler ist nicht mehr Schöpfer eines Werkes, sondern sein Prozessor.

//: Und sein Werk kein ästhetisches Produkt mehr, sondern ein Programm ://

Dieses (veränderte) Selbstverständnis als Künstler ist keines, das ursächlich mit dem Internet zu tun hat oder daraus entstanden ist. Sich nicht als Schöpfer zu begreifen, sondern als Teil eines interagierenden Systems, existiert an sich seit der Erfindung von > Kommunikationsmedien (wie Telefon, Telefax oder Funk), bzw. seit dem Zeitpunkt, als Künstler mit diesen Technologien zu arbeiten begannen (was in der Tat meist sehr früh war). Entscheidend war dabei immer, daß es - was oft verwechselt wird - nie um die > Übertragung \sogenannter\ "ästhetischer" Produkte (wie Musik, Bild, etc.) ging, sondern im Gegenteil: um die Schaffung einer vernetzten Situation, in der aus der > Performance von Kommunikation via "ästhetischer" Handlungen eine Community entstehen würde. Die Konzepte hinter diesen Aktionen waren von einer utopischen Radikalität, die technästhetisch und durchaus auch praxisbezogen im Grunde erst jetzt im WWW eine Realisationsplattform erfahren.

Wenn traditioneller Künstler- und Werkbegriff im Netz aufzubrechen beginnen, künstlerische Ansätze nur im Bezug auf die Netzsituation gesehen und beurteilt werden können, muß man natürlich auch von einer spezifischen \ästhetischen\ > Kunstkategorie sprechen. Traditionelle Kategorien erweisen sich schnell als inadäquat. "Musik" existiert als eigene künstlerische Qualität im Internet genausowenig wie "Bildende Kunst" oder "Film". Natürlich bestehen Netz(kunst)werke aus ästhetischen Handlungen, die mit Mitteln traditioneller Kategorien geschaffen werden. Und doch muß jedes Klangereignis, jedes Bild und jeder Text - sollen sie in dieser Umgebung wirklich Sinn machen - relational zum Gesamtgeschehen im Netz gesehen werden. Vielleicht sollte man eher von einem "Ereignispattern" sprechen, das sich selbst ständig aus aktiven akustischen, optischen und textualen > Aktionspartikeln neu definiert - immer im Zustand eines labilen Gleichgewichts. Ein autoregulatives System. Verliert man in der Produktion den Blick auf dieses Gesamtsystem, erhält man bloß wieder nur Produkte, die in anderen Medien genauso (und im Grunde besser) existieren könnten. Selbst interaktive Kunstwerke, die keinen Bezug zur Netzumgebung aufweisen (also statisch sind), sind auf CD-Roms besser aufgehoben als im Web. Dem Netz müssen wir uns mit einer eigenen Ästhetik nähern. Es genügt nicht, mit dem Werkzeug gut umgehen zu können, es bedarf schlichtweg der (Er)Findung einer neuen Identität.


Über Erfahrungen mit Kunst im Netz zu schreiben (auch und gerade wenn es sich um eigene Kunst handelt), kann immer nur eine Beschreibung des jeweiligen > Zustandes sein, in dem sich das Netz gerade befindet. Seit der Rohfassung dieses Artikels vor ca. drei Monaten hat sich derart viel verändert, daß ich den Großteil davon neu schreiben mußte, und es gibt keine Garantie dafür, daß bei Erscheinen des Hefts nicht wieder alles völlig anders ist. Und das hat nur zum Teil mit technologischen Neuerungen zu tun, sondern vor allem mit der Entwicklung eben jener Identität, über die ich vorher gesprochen habe. Im Moment erscheinen mir drei Ansätze sinnvoll, wobei die Definitionen eher als Hilfskonstruktionen gesehen werden müssen. Die Grenzen sind fließend, und gute Netzarbeiten bewegen sich immer zwischen diesen Ansätzen und vor allem: sie gehen darüber hinaus. Diese Ansätze wären:

  1. Arbeiten, die durch die Netzaktivitäten der weltweiten Community strukturiert sind, erst durch Kommunikation entstehen und vice versa wieder auf die Community-Identität rückwirken.


  2. Arbeiten, die im Netz vorhandene Datenpools und Transfermöglichkeiten aufgreifen, sie zur Basis künstlerischen Handelns machen und in einer Feedbackschleife wieder darauf einwirken.


  3. Netzfiktionen.

Alle diese Arbeiten können entweder ausschließlich im Netz stattfinden, oder - im Sinn intermedialer Strategien - auch mit anderen Medien (z.B. Broadcast, Printmedien) verknüpft werden, bzw. auf Realräume übergreifen (Installation, Performance). Ihnen allen liegt zugrunde, daß sie unter Berücksichtigung des transitorischen Charakter des Web > Performancestruktur aufweisen. Im Folgenden möchte ich kurz drei Arbeiten skizzieren (eine historische, eine aktuelle und eine, die erst realisiert wird), die meiner Ansicht dem Charakter des Netzes adäquat entsprechen. Diese Skizze kann natürlich nur eine ungenügende Beschreibung sein, denn gerade hier gilt in stärkstem Maß, daß der > Rezipient aktiv in das Geschehen eingreifen muß, in den Systemen anwesend sein und reagieren. Die Rolle des reinen Betrachters verschwindet ebenso wie die des Künstlers. Dem passiven Rezipienten bleibt das Wesen dieser Ereignisse verborgen, auch er muß seine Aktivität einfließen lassen, um sich der Identität des Web zu nähern und sie auch mitzuformen. Auch ihm wird es oft so gehen wie den Künstlern selbst: Nicht wirklich wissen, was man gerade macht, die Techniken auch nicht wirklich beherrschen. Die Stabilität von Identitäten (Künstler - Publikum - Medium) bricht auf, sie diffundieren ineinander, genauso wie die Orte, an denen man sich im Netz befindet.


State of Transition (Breindl / Math / Sodomka / x-space, 1994):

"State of Transition", ein telematisches Live-Radio Event, scheint deswegen einer Betrachtung wert, weil es einerseits das erste Projekt war, das Internet als Kommunikationsmedium in die Struktur einer Live-Radio Performance einband, andererseits das erste einer Reihe von Events war, die sich im Grunde der gleichen Mittel bedien(t)en. Als Ausgangspunkt für "State of Transition" hatten wir definiert:

"Migrationsbewegungen, Verkehrswege, Einwanderungsquoten, Transiträume, Grenzüberschreitungen und Übergangsstadien aller Art sind Thema und Struktur. Der geschäftsmäßigen Euphorie, mit der die Welt im grenzüberschreitenden Datenverkehr zum globalen Dorf illusioniert wird, steht die gesellschaftspolitische Realität immer strikterer Einwanderungs- und Flüchtlingsquotenregelungen gegenüber, die physische Grenzen immer deutlicher und unüberwindbarer ziehen."

Zwei Orte (die Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum in Graz und das V2-Gebäude in Rotterdam) waren live über Rundfunk- und bidirektionele Datenleitungen miteinander verbunden. Nahezu idente Datenbänke von Klängen, Sprache und Rundfunkausschnitten zum Thema Migration standen den aufführenden Künstlern (Andrea Sodomka, Martin Breindl und Norbert Math in Graz, Gerfried Stocker, Martin Schitter und Joel Ryand in Rotterdam) zur Verfügung, auf die sie via Datenleitungen wechselseitig zugreifen konnten. Die Klangereignisse in Rotterdam wurden live nach Graz übertragen, in einem Ü-Wagen mit den Klangereignissen aus der Neuen Galerie gemischt und diese Mischung live auf ORF Ö1 übertragen. Das Sendegeschehen ermöglichte erst die Interaktion zwischen den KünstlerInnen an diesen Orten, die wiederum die Sendung generierten. Über das Internet konnte jeder Hörer on line und live in "State of Transition" einsteigen. Am WWW-Server in Hilversum befand sich eine Hypertext-Area, bestehend aus Texten und Statements über Migration, Ausländerquoten, Übergangsstadien u.a., durch die man flanieren konnte. Jede Seite war mit einem Soundsample im Setting in Rotterdam verknüpft. Die Bewegungen durch den Hypertext lösten also Klangereignisse aus, die wiederum live in die Rundfunksendung eingespielt wurden (für Publikum, das gleichzeitig on line und on air war, also durchaus nachvollziehbar). Zusätzlich wurde über ein trace-rooting Verfahren die Herkunft des jeweiligen Zugriffs festgestellt, und die dadurch ausgelösten Klangereignisse auf verschiedene Lautsprechergruppen gelegt und mit verschiedenen Effekten versehen.

Die Folgeprojekte, wie z.B. "Horizontal Radio" (1995) und "Rivers & Bridges" (1996), mit weitaus größerem technischen Aufwand und Perfektion realisiert, banden das WWW als eigene Plattform in das Geschehen ein und nützten es zusätzlich als interaktives Distributionsmedium. Die grundsätzliche Problematiken blieben jedoch die gleichen, nämlich:

  1. daß die Rolle der beteiligten Künstler die von Netzwerkadministratoren ist - nicht Schöpfer, sondern Verwalter und Distributoren der in der Netzwerkkonfiguration zirkulierenden Datenströme. Und
  2. daß nicht nur das Material, sondern auch dessen Verknüpfungen und die Konfiguration des Netzwerkes selbst zum Spielball des gemeinsamen Agierens werden. Die entstehende Hyper-Media-Datenbank wird zur eigentlichen Bühne.


SOS RadioTNC (Beusch / Cassani, seit 1996):

Diesem Projekt liegt als Idee eine (unmögliche) Netzfiktion zugrunde: die eines globalen Web-Crash:

"Am 4. Februar 1996, nachmittags um 16 Uhr, ist zum ersten Mal seit Menschengedenken eine Web-Site zusammen mit ihren Webmastern hinauskatapultiert geworden ins virtuelle Nichts - Sie haben sicher davon gehört. Wir waren an diesem Tag als ahnungslose Infobahnfahrer unterwegs und sind nur wenige Minuten nach der Katastrophe auf die gecrashte Homepage des Kult-Online-Radios Radio TNC aufgefahren. Mikrofonmembranfetzen im Gif-Format, tote Links, vor sich hinloopende verstümmelte Jingles - ein fürchterlicher Anblick, der selbst abgebrühte Internauten wie uns bis auf die Knochen erschüttert hat." (Beusch/Cassani)

Konsequenterweise wird sofort eine Hilfsaktion gestartet: eben SOS Radio TNC. Beusch/Cassani rufen die weltweite Community auf, zur "Rettung" des im Web-Crash verlorenen fiktiven Senders beizutragen, indem sie "aus vielleicht noch im Cache des eigenen Computers vorhandenen Resten" die Homepage von Radio TNC rekonstruieren könnte. Sie plazieren ihre "Save-Our-Site Signale" in den Homepages von Institutionen wie dem Pariser Technikmuseum, dem Ars Electronica Center oder des ORF Kunstradios. Beusch/Cassani überzeugen in einer großangelegten Fund-Raising-Aktion zahlreiche Rundfunksender (wie Radio France, BBC, ARD, RAI, Radio Fritz, ORF, RSR, etc.), ihre Sendungen dieser Fiktion zur Verfügung zu stellen. Crash-Parties werden veranstaltet, während derer gleichzeitig on air (Talkradio) und on line agiert wird.

Und die Community hat (re)agiert. Nicht nur war die Homepage von Radio TNC innerhalb von wenigen Minuten "rekonstruiert", sondern User in aller Welt begannen, sie mit eigenen ästhetischen Äußerungen zu verändern und weiterzugestalten. Mittlerweile ist die Homepage von "SOS Radio TNC" zu einer Web-Site gigantischen Ausmaßes mutiert und wächst als Spielwiese der globalen Gemeinschaft weiter und weiter. Mehr noch: die Community hat die Handlungsstrategie bereits übernommen. Beusch/Cassani als Initiatoren des Werkes haben sich weitgehend von der Gestaltung zurückgezogen. Das Werk wächst auch ohne sie. Die künstlerische Strategie ist jene, ein systembezogenes offenes Handlungsfeld zu ermöglichen; dazu gehören Fund-Raising-Aktionen und Überzeugungsarbeit Institutionen gegenüber genauso wie aktuelles Netzwerkdesign.


Resonator (TXTD.sign = Ranzenbacher / Muhr, in Arbeit):

"wir gehen davon aus, daß in einer kultur (zivilisation), in der primäre wahrnehmung von ereignissen in einem zustand der mediatisierung erfolgt, ereignisse solange nicht als real (nämlich die eigene existenz betreffend) wahrgenommen werden, solange jene medien, durch welche die information erfolgt, von den ereignissen nicht selbst betroffen sind. - katastrophen existieren nicht, solange über sie berichtet wird." (Konzepttext)

Eine der elementaren Äußerungsformen unseres Planeten sind Erdbeben. Die seismographischen Meßstationen auf der ganzen Welt sind über einen Rechner mit dem Internet verbunden, jedes bebenartige Ereignis, das erfaßt wird, ist Sekunden später im WWW abrufbar. Durchschnittlich alle zehn Minuten ereignet sich weltweit ein Beben mit einer Stärke >3 auf der 9teiligen Richter-Skala.

Ranzenbacher und Muhr gehen nun daran, die im Netz als abstraktes Datenfeld existierenden Ereignisse physisch wahrnehmbar zu machen. Ein betretbarer Raum, auf Federn gelagert, wird vermittels tieffrequenter Schallwellen - die wiederum in ihrer Dauer und Intensität von den Erdbebendaten aus dem Netz getriggert werden - in Schwingung versetzt. Die körperlichen Reaktionen der Besucher dieses Raums werden über ein Biofeedbacksystem abgenommen und in das Netz zurückgespeist, wo sie als zusätzliche Bebendaten gerechnet werden. Die eigentliche Installation befindet sich aber dennoch im WWW. Auf einer frei zugänglichen Homepage, die Erdbebenmeldeformularen nachempfunden ist und unter anderem einen Multiple-Choice-Test beinhaltet, befindet sich ein variabler Textkorpus (Bauordnungen, Verhalten im Erdbebenfall, etc.). Diese Homepage verändert sich in ihrer Struktur und Form in Echtzeit mit den aufgerechneten Beben- und Körperdaten. Zusätzlich löst jeder Zugriff in den Multiple-Choice-Test ein weiteres "Beben" im Gesamtsetting (physisch und virtuell) aus.

"Resonator" rekonstruiert in einer Feedbackschleife eine virtuelle Wirklichkeit, die aus ("realen") Ereignissen, deren Abstraktion auf Informationsebene und menschlicher Reaktion auf beides zusammengesetzt ist. Und genau diese "Wirklichkeit" kann zur Katastrophe führen: übersteigen die ineinandergerechneten Daten die Stärke 9 auf der Richter-Skala, zerstört sich die Installation selbst. Und zwar auf Hardwareebene physisch, im Netz durch einen Virus, der losgelassen wird, um die Homepagestruktur auszulöschen.


So verschieden sind die Ansätze der geschilderten Projekte, so wenig haben sie in ihrer Formensprache gemein, daß sich natürlich die Frage einer > ästhetischen Klassifizierung stellt. Eindeutig wird sie wohl nicht so schnell zu beantworten sein. Zu weit haben wir uns bereits hinausgewagt, zu viel von unserem früheren \Selbst-\Verständnis als Künstler aufgegeben, als daß wir uns unserer Identität und der unserer Umgebung sicher sein könnten. Wir sind nicht mehr allein - was erschreckt uns daran so? Artistik ohne Netz ist nicht mehr gefragt. Schopenhauers Genie längst uninteressant geworden. Wir wollen auch nicht mehr zurück, denn hier hat man uns wieder eine Funktion gegeben, die man uns so lange abgesprochen hat: Teil einer Community zu sein. Ein durchaus ästhetisches Problem.

Und übrigens: Modems sind langsam, Telefonleitungen schlecht, Bildschirme niedrigauflösend, das Netz instabil. Der größte Teil der weltweiten Community mit schlechter Hardware ausgerüstet. Wer Kunst in Kategorien von Hochglanz und Virtuosität denkt, sollte sein Modem ausgeschaltet lassen. Weniger Bytes sind mehr, das Gefühl für Layout und Timing entscheidend. Kommunikation der Schlüssel.

Communication vs. Broadcast.

lo-res vs. hifi.


Dieser Text erschien in: Positionen, Beiträge zur Neuen Musik; Heft 31, "Internet"; Berlin, Verlag Positionen, 1997