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Nature Morte. Das Fairlight CMI

english

 

Norbert Math,
NATURE MORTE. DAS FAIRLIGHT CMI

Fairlight CMI I

Erschienen in Zauberhafte Klangmaschinen
Schott Music 2008, ISBN: 978-3-7957-0197-0

Herausgegeben von IMA Institut für Medienarchäologie
mit Beiträgen von P. Donhauser, E. Ungeheuer, S. Zielinski, E. Schimana, B. Felderer, C. Wittmann, S. Döring, C. Wittmann, W. Ernst, F. Engel, N. Borisova, D. Gethmann, C. Bösze, H. Jäger, A. Smirnov, G. Steinke, G. Prix, S. Kreichi, C. Scheib, D. Kaufmann, A. Smirnov, S. Gründler, E. Tikhonova, K. Hollinetz, P. Mechler, N. Math, F. Cramer, E. Jelinek

Online Textversion mit Klangbeispiel: Zauberhafte Klangmaschinen

Das Fairlight Computer Music Instrument I, eine australische Erfindung, führte zwei neue Techniken ein: das Sampling und das Sequencing 1| - nicht zuletzt 1975 angeregt durch die Schallplatte Switched-on Bach, wie Peter Vogel, einer der Erfinder, auf seiner Homepage 2| schreibt. Ziel war ein Instrument, welches leicht bedienbar die klanglichen Möglichkeiten eines Moogs bereitstellt und dabei eine Kontrolle über möglichst alle Klangparameter erlaubt. Aber nach jahrelanger Arbeit an einem Prototypen (Qasar) stellte sich heraus, dass ein derartiges Gerät nicht realisierbar ist.

Die Schwingungen eines analogen Instruments (sei es ein Moog oder eine Violine) enthalten immer kleine Instabilitäten, welche zur Lebendigkeit des Klanges beitragen. Ein digitales Instrument muss solche Instabilitäten künstlich errechnen. Dafür reichten die damaligen Mittel bei Weitem nicht aus. Vogel und Ryrie bedienten sich daraufhin eines Tricks: Kurze Aufnahmen (Samples) sollen die Lebendigkeit natürlicher Schallquellen einfangen. Zwar wurden bereits früher Naturklänge als Grundmaterial benutzt (etwa im Mellotron oder im Optigan), aber die digitale Domäne erlaubt weitaus freiere Möglichkeiten der Manipulation. Jetzt kann der Klang, allen physikalischen Gesetzen zum Trotz, beliebig vor- und rückwärts, in beliebiger Geschwindigkeit, Stimmenanzahl und in Endlosschleifen (Loops) wiedergegeben werden.

1979 war das Fairlight CMI so weit entwickelt, dass Peter Vogel es in Europa dem Musiker Peter Gabriel vorführen konnte. Dieser setzte das Instrument unverzüglich in seiner aktuellen Platte3| ein und organisierte einen Vertrieb. Das Fairlight CMI war auf Anhieb so erfolgreich, dass in wenigen Jahren an die 300 Stück in verschiedenen Versionen verkauft wurden, trotz seines enormen Preises. Ein großer Teil der Popmusik der 1980er Jahre wurde mit Hilfe des Fairlight CMI produziert.

Die erste ausschließlich mit dem Fairlight CMI realisierte Musik ist Erdenklang von Hubert Bognermayr und Harald Zuschrader.4| "Bognermayr und Zuschrader verwirklichen die klassische Utopie aller Komponisten: potenziell über sämtliche Klänge der Umwelt ebenso zu verfügen wie über jeden ausdenkbaren Ton der eigenen kompositorischen Phantasie. [...] Der Klang der Zukunft ist ein Amalgam - das Gegensatzpaar hier glasklarer Naturklang, dort elektroakustisch verzerrter Powersound wird überwunden."5| Die Beherrschung sämtlicher Klänge der Umwelt verspricht, Naturklang und Elektroakustik zu vereinen. Bognermayr und Zuschrader übersehen aber, dass die Natur lediglich als Material ihrer kompositorischen Anordnung untergeordnet wird - die Begriffe Sampling und Sequencing entstammen nicht zufällig der Biologie. Die Natur wird als nachgeäfftes Stillleben vorgeführt. Um es mit Peter Gabriel zu sagen:
"Fox the fox
Rat on the rat
You can ape the ape
I know about that."
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Es geht aber auch ohne Natur. 1983 wird die Filmmusik für Liquid Sky (Regie: Slava Tsukerman; Musik: Brenda Hutchinson u. a.) auf einem Fairlight CMI produziert: Eine künstliche Welt aus Punk, Fashion, Drogen und Aliens wird in Kompositionen der klassischen Literatur (Orff, Marais u. a.) getaucht, welche ihrerseits gesampled und gesequenced wurden - und damit wird die Musik, die Kunst in sich selbst zurückgeführt. So wurde das Sampling ein weiteres Mal erfunden: Musik wird mit sich selbst multipliziert, eine Technik, die beispielsweise fundamental für den Hip-Hop werden sollte.

In einer Schlüsselszene des Films tritt eine Performerin mit ihrem Drumcomputer auf und deklamiert:
"Me and my rhythm box.
Are you jealous folks?
My rhythm box is sweet.
Never forgets a beat.
[...]
It's always high.
So am I ...
Do you want to know why?
It ...
It is ...
Preprogrammed.
So what? So what? So what? So what? So what?
Who of your friends is not?"
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1| Ich gehe in Folge nur auf das Sampling ein. Ein Sequencer ist ein Programm, das musikalische Anweisungen speichern, bearbeiten und wiedergeben kann; es vereint also Partitur und Instrumentalist in sich. Das Prinzip des Sequencers entspricht den Lochstreifen eines mechanischen Klaviers.

2| http://www.anerd.com/fairlight/ (wie alle folgenden Links: Juni 2008).

3| Peter Gabriels drittes Album Melt (1981).

4| Die Symphonie von Bognermayr/Zugschrader wurde als Computerakustisches Tanztheater Erdenklang auf der Ars Electronica 1982 in Linz uraufgeführt.

5| Booklet der CD, Erdenklang Musikverlag 1982.

6| Peter Gabriel, Shock The Monkey, auf dem vierten Album Security, 1982. In der deutschen Version: "Fuchs den Fuchs / Deck den Dachs / Herz das Herz / Keiner merkt's". Laut Matthias Becker (Synthesizer von gestern, Bd. 2, Augsburg 1995) war das erste, was die Erfinder je sampelten, das Bellen ihres Hundes - his dog's voice sozusagen.

7| Courtenay Gallon, Liquid Sky: Cult Cinema, Film Scoring, and the Fairlight CMI, Dissertation (http://etd.lib.fsu.edu/theses/available/etd-11132007-163416/unrestricted/cgg_thesis.pdf).


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