DAS THEOLOGISCHE PROGRAMM
ALS IDEOLOGIE
Auffallend ist zunächst, dass Gottvater mit den Insignien des Papstes dargestellt ist und die kirchlichen Würdenträger im Mittelbild zahlreich und in vorderster Linie auftreten. Neben dieser Betonung der Hierarchie lässt sich aber eine egalitäre Einbindung der Päpste in die jeweilige Gruppe feststellen. Es überlagern sich also hierarchische Vorstellungen und Gleichheitsprinzip. Diese Dialektik ist in engem Zusammenhang mit Reformbestrebungen in der Kirche zu sehen, mit dem damaligen Autonomiebestreben der Landeskirchen und besonders der Hussitenbewegung, die sich bis 1436 über ganz Europa ausbreitete. Den Autonomiebestrebungen hält der Altar das Sinnbild der geeinten, idealen und reformierten Kirche entgegen, er entspricht jedoch in der Darstellung des Blutes des Lamms, das in einen Kelch fliesst, einer Forderung hussitischer Kreise, die Eucharistie in beiderlei Gestalt durchzuführen. In der Einbindung niederer klerikaler Kreise symbolisiert er die Forderung nach Rückkehr der Kirche zu apostolischer Armut. Der Genter Altar vereinigt so in seinem Programm ideologische Wiedersprüche, die sich aus der sozialen Stellung des Auftraggebers ergeben. Er verdeutlicht, dass in jener Zeit die theologische Argumentation die Art war, in der soziale Forderungen und politische Ansprüche zum Ausdruck gebracht wurden. Die Malerei wiederum wurde als Medium der Vermittlung dieser theologischen/sozialen Ansprüche eingesetzt. |