DIE REZEPTION VON
 MICHELANGELOS
 WERK

Die Rezeption des Ouevres Michelangelos ist von einer Polarisierung der Standpunkte gekennzeichnet. Kunstauffassungen, die sich auf rationale, durch Regeln bestimmbare Gestaltungsprinzipien zu gründen suchen (Klassizismus, Akademismus), lehnen seine Werke ab, da sie diesem Kanon nicht, oder nur zum Teil, entsprechen. Besonders das durch ihn überlieferte Bild des kreativen Prozesses (Geniebegriff) fällt unter dieses Verdikt.

Erst in unserem Jahrhundert setzt eine differenzierte Michelangelo-Rezeption ein. Auf der anderen Seite berufen sich gerade jene Kunsttheorien besonders des 18. und 19. Jahrhunderts auf ihn, die sich gegen Modelle von gesetzmässig festgelegten Kunstprinzipien richten. Gerade die Tatsache, dass er in seiner Arbeit Normen überschritten hat, stellt für diese den Ausgangspunkt der Wertschätzung dar.

In der Rezeption der Werke Michelangelos liegt somit ein Potential kritischer Reflexion über Normvorstellungen von Kunst und Kreativität. Zahlreiche Kunstkritiker bis zum 20. Jahrhundert haben sich dieses Potentials bedient (etwa in der Expressionismus-Rezeption).

Interessant erscheint, dass gerade angesichts der an Normativität und Ordnungskriterien orientierten nationalsozialistischen Kunsttheorie (gegen das "Unfertige", Subjektivistische) dieses Werk Michelangelos dennoch Teil einer Sammlung wurde, die dezidiert auch als Ausdruck des "Kunstwollens" des deutschen Volkes verstanden wurde.

Kunst wird somit als jener symbolische "Überschuss" der Kultur deutlich, mit dem die Kulturpolitik des Nationalsozialismus insgesamt operierte: jenseits theoretischer Entwürfe geht es um ein "Einverleiben" dieses Überschusses. Kulturpolitik richtete: eine Einverleibung.