Werner Fenz, Gedanken zum Gedankenprojektor von alien productions Text zur Ausstellung im Künstlerhaus Graz, 2007 |
Unter den menschlichen Wahrnehmungsinstrumenten
zählt das Auge unbestritten zu den wichtigsten. Eine
Bestätigung dafür liefert abseits aller physiologischen
Argumente nicht zuletzt das sprunghafte Ansteigen jener Industrie, in
der bilderzeugende Maschinen zum Einsatz kommen und das optische
Gesichtsfeld der BetrachterInnen weitgehend zumüllen. Immer wieder
ist dem Sehsinn größte Aufmerksamkeit geschenkt worden,
nicht ohne den Akt der Verarbeitung des Gesehenen mit einzubeziehen.
Auf diesem Level hat die „Schule des Sehens“ in verschiedensten
Zusammenhängen eine entscheidende Rolle gespielt, sei es, um ein
Publikum zum bewussteren Sehen anzuleiten, sei es um Schüler in
der Hochblüte der in den 1970er Jahren den Kunstunterricht
dominierenden Ästhetischen Erziehung mit der Wirkungsweise, der
Dramaturgie und den dahinter liegenden, zumeist von der Wirtschaft
dominierten, Botschaften von Bildern zu konfrontieren. Politisch
engagiert lautete die Forderung: Das zu Sehende für jedermann
sichtbar machen. Auch der Anspruch der Autorenfotografie kulminierte in
dieser Zeit im entdeckenden, bewusst und selektiv sehenden Auge.
In die Gegenwart transferiert handelt es sich um
ein der Kunst immanentes rückbezügliches Systems, für
das sich mit dieser Erfindungsidee Teslas die neuen, durch den auf
diese Weise „erweiterten“ Fotoapparat sichtbar gemachten
Sujets ergeben. Gekoppelt ist das Konzept an den Blick auf die
realpolitische Situation des gläsernen Menschen, auf die
Überwachungskameras, die ihre Augen nicht mehr nur vor privaten
Territorien, sondern auch in jedem x-beliebigen städtischen Raum
auf uns richten, auf die Protokolle der Telefonanrufe, die das
hierarchische System hinter und vor den verschlossenen Türen der
Machtzentralen, der Ordnungshüter und der bestimmten oder selbst
ernannten Kontrollorgane vor Augen führt.
Sind die Gedanken, wenn sie fotografiert werden
können, noch frei? Sind sie überhaupt darstellbar oder, noch
erschreckender, interpretierbar? Wenn es so wäre, dann hätte
die Überwachung ihr letztes Ziel erreicht. Um diese Thematik
paradigmatisch in ein ernsthaftes Gedankenspiel zu bringen, werden die
im Projekt Der Gedankenprojektor entstandenen Bilder im Ausstellungsraum in
unterschiedlichen Erscheinungsformen projiziert aber auch ins Internet
gestreamt. Damit sind sie (in jedem Fall anonym) nicht nur für die
internen BesucherInnen, sondern auch für die externen UserInnen
zugänglich. Diese können ihre Kommentare zu den und ihre
Interpretationen der „Gedankenbilder“ in den Kunstraum
retournieren, wo diese wiederum augenscheinlich auftauchen. Auf diese
Weise wird der White Cube zur Schnittstelle zwischen Innen und
Außen, zwischen Privat und Öffentlich.
Der Kunstbeitrag in den LICHTUNGEN ist als
bewusstes Experiment während der Installierung einer Ausstellung
im Grazer Künstlerhaus|3|
ohne vorbereitetes „Drehbuch“
entstanden, um die Möglichkeiten einer spontanen Übersetzung
von einem Medium in ein anderes vorzuführen.
|1| alien productions [Martin Breindl | Norbert Math | Andrea Sodomka | August Black] haben erstmals 1997 gemeinsam ein Projekt (Embedded Systems) realisiert: In Graz im 4.Stock des Kaufhauses Kastner&Öhler im Rahmen der Veranstaltung 2000-3. Artspace plus Interface. |2| Einige dieser interessanten Ereignisse werden auf der Website von alien productions zum Thema Der Gedankenprojektor angeführt: http://alien.mur.at/gedankenprojektor |3| Künstlerhaus Graz am Landesmuseum Joanneum, 14.September bis 28.Oktober 2007 |
Dieser Text erschien in: LICHTUNGEN, Zeitschrift für Literatur, Kunst und Zeitkritik. Heft 111/XXVIII. Jg./2007 | theory index | |