Robert Adrian X im Gespräch mit Martin Breindl

Podiumsgespräch am 17. 8. 2002 im forumschlosswolkersdorf, anlässlich der "Weinviertler Fotowochen 2002". Eine Veranstaltung von FLUSS, NÖ. Fotoinitiative


Martin Breindl: Ich erspare es mir, Robert Adrian vorzustellen; man braucht ihn ja wirklich nicht vorzustellen. Wir haben beschlossen, wir machen das, was wir sonst auch immer machen: Reden. Zwar machen wir das normalerweise nicht öffentlich, sondern wir sitzen in Bobs Atelier oder wir arbeiten gemeinsam an Projekten. Wir kennen uns seit elf Jahren. Seit elf Jahren gibt es immer wieder Anlässe oder Gründe, dass wir einfach miteinander reden. Das ist so diese Art von Reden, wo man anhand der Arbeit, die man gerade macht, anhand dessen, was man gerade plant oder tut, immer wieder über wesentliche und substanzielle Dinge redet, wie: der Status von Informationstechnologie; wie ist das mit der Technologie, mit der man umgeht, den künstlerischen Konzepten dahinter und wo man eigentlich hinwill (nur dass wir meistens nicht wissen, wo wir hinwollen). Wir haben aber auch beschlossen, dass wir das Publikum mitreden lassen wollen. D.h. wir machen jetzt nicht eine Doppelconferénce, sondern wenn es Fragen gibt oder irgendwer etwas beitragen oder genauer wissen will, bitte haken Sie sofort ein. Dann kommt vielleicht dieses Gespräch in Fluss. Normalerweise dauern die Gespräche zwischen uns ziemlich lange. Wir werden versuchen, nach geraumer Zeit abzubrechen, weil es sonst sein könnte, dass wir morgen in der Früh noch da sitzen...

Bob, Du arbeitest seit 1979 mit Kommunikationstechnologien. Eines verbindet uns beide: wir kommen beide von der Bildenden Kunst. Ich habe früher gemalt, Malerei und Grafik studiert und irgendwann war mir das für mich selber nicht mehr substanziell genug. Dann hab ich den Pinsel mit der Videokamera vertauscht und so bin ich zur Medienkunst gekommen. Bob hat auch immer Dinge in Richtung Bildender Kunst gemacht, aber Bob hat sich dann sofort auf die Kommunikationstechnologien gestürzt. Das ist auch die erste Frage - eine ganz persönliche Frage: Wie kommt man z.B. dazu, sich das Telefon, die Faxmaschine anzuschauen, oder Bürosysteme, oder später dann das Internet, und zu beschliessen damit Kunst zu machen? Was sind eigentlich für Dich persönlich die Gründe, dass man als Künstler beschließt, mit gerade diesen Dingen zu arbeiten?

Robert Adrian X: Na ja, ich weiss nicht; ich glaube, dass Kunst mit persönlichen Dingen nicht viel zu tun hat.

MB: Na gut, aber die Entscheidungen dahinter...

RAX: Mein Gefühl war immer, dass die Arbeit mit diesen Kommunikationsmedien etwas mit Pop Art zu tun hatte, d.h. mit Künstlern der 60er und 70er-Jahre. Ich hatte mit Pop Art nichts zu tun, eher nur nebenbei. Pop Art hat mit der Oberfläche von Medien - von neuen Medien - zu tun. Und Ende der 70er-Jahre war es dann möglich, Video selbst zu verwenden. D.h. anstatt ein Bild von der Oberfläche - Werbung, Fernsehen oder was immer - zu machen, hatte man plötzlich die Gelegenheit, an dieses Medium selbst zu kommen und etwas Ähnliches wie Fernsehen zu machen, z.B. Slowscan-Television. Da waren Telefon, Telefaxmaschine, Maschinen und Dinge, die man an ein Telefonsystem anschliessen konnte: man konnte quasi das Telekommunikationsmedium an sich benutzen. Man macht nicht mehr Bilder von den Systemen, sondern man nützt die Systeme selber, um Bilder zu machen. Und Ende der 70er-Jahre war das möglich, und da waren ziemlich viel Leute in diesem Bereich unterwegs.

MB: Also ging es darum, auf die Medien selber Zugriff zu kriegen?

RAX: Statt Bilder von der Oberfläche zu machen, von etwas Vorgefundenem, vom Alltag - wie Andy Warhol es beispielsweise gemacht hat -, hat man einfach in den Medien selber gearbeitet, das Medium an sich benutzt. D.h. den Raum des Mediums selber besetzt. Und das war nicht nur meine Idee, sondern auch von Leuten, die ich vor allem an der Westküste Kanadas getroffen habe. Die haben mit Slowscan-Video und Satelliten zu arbeiten begonnen. Sie waren sicher beeinflusst von Nam June Paik und von den großen Namen der 70er-Jahre. Zugang zu Satelliten und Broadcasting-Systemen war ziemlich kostspielig. Man musste ein großer Name wie Nam June Paik oder Joseph Beuys oder Andy Warhol sein, dass man überhaupt Zugang zu diesen Systemen bekam.

Norbert Math: Bob, darf ich dich kurz fragen, was Slowscan-Television ist?

RAX: Das ist "Telefon-Television", ein Bildspeichersystem, das mit digitalen Bildern aus einer Videokamera arbeitet. Die Videokamera spielt in einen Transceiver. Dieser digitalisiert das Bild, und das Bild wird dann als Sound-Signal übertragen. Die Maschine, die wir verwendet haben, hat acht Grautöne und daraus werden dann acht Signale, die den Grautönen entsprechen. Die Signale werden von einer dieser Maschinen zu einer anderen Maschine übertragen.

MB: D.h. es ist wie telefonieren, nur mit Bild?

RAX: Es war nur Bild. Damals konnte Sound nicht gleichzeitig gesendet werden, so wie jetzt mit den neuen Telefonsystemen; und die digitalen Telefonsystemen haben das sowieso. Wir waren nur in der Lage, Bilder auszutauschen in Realtime. Jedes Bild hat acht Sekunden gebraucht, bis es vollständig war. D.h. die Scans waren übereinander, ein Bild tauchte langsam auf dem Schirm auf. Sobald es vollständig war, kam das nächste Bild. Es war eine interessantes Medium an sich, weil es "Still forward" war. Man konnte vorprogrammieren, es konnte etwa von Videobändern kommen; viele Leute haben das gemacht; aber meistens waren es Acht-Sekunden-Scans. Ein Scan wurde gemacht, und dann konnte man eine Inszenierung machen und das nächste Bild vorbereiten und so weiter. Man konnte kleine Narrationen entwickeln. Das war ein schönes System.

MB: An den Dokumentationsbändern, die ich kenne, hab ich beobachtet, dass das System sehr oft bei Performances eingesetzt wurde. Jemand hat etwas vor eine Kamera gehalten, oder es wurden so eine Art "Poems" gemacht.

RAX: Ja, man konnte da mit Text auch arbeiten; man kann eine Reihe von Bildern machen, Performances machen - und jedes Bild steht acht Sekunden, dann eine neue Einstellung. Teilweise waren es Videos von diesen Performances. Leider gibt es die Maschinen gar nicht mehr. Und wenn es sie noch gibt, funktionieren sie nicht mehr richtig. Das ist alles 20 Jahre her. 20 Jahre ist eine Ewigkeit in diesem Bereich.

MB: Du hast mir einmal gesagt, dass Dich eigentlich nicht interessiert hat, mit diesen Systemen Kunst zu machen. Was meinst Du damit?

RAX: Nein, ich versuche selber schon Kunst machen. Aber ich wollte in diesen Projekten, die ich organisiert habe, nicht die Kunst selber machen.

MB: Meint das, dass Du z.B. Bilder nicht selber machen wolltest?

RAX: Mich interessierte die Organisation dieser Räume. Ich habe das auch von den Leuten gehört, die ich getroffen habe. Hauptsächlich von einem, er heisst Bill Bartlett. Als ich eingestiegen bin, war er schon aus diesen Projekten ausgestiegen. Er hatte jemanden gefunden, der das übernimmt. Das war ja auch ziemlich lästig. Und dann war ich schon völlig süchtig nach diesen Projekten und habe weitergemacht. Aber das war sein Konzept, dass man hier einen Kommunikationsraum hat. Dieser Raum ist das Telefonnetz, an das wir die Maschinen angeschlossen haben; es konnten mehrere Leute in diesem System sein und so eine Konferenz bilden. Aber in der Hauptsache hast du zwei Plätze. Und zwischen diesen zwei Plätzen ist ein Raum. Und in diesem Raum konnte ein Kunstwerk stattfinden. Meine Beitrag zu dieser Theorie war: was in diesem Raum passiert, ist Skulptur. Der Raum entsteht, wenn man das System einschaltet. Nehmen wir zwei Telefonleitungen und bauen eine Maschine zusammen. Und was passiert dann zwischen uns? Ist die Maschine an, ist der Raum da. Was dann zwischen zwei Künstlern passiert, ist eine Skulptur. Wenn die Maschine ausgeschaltet ist, ist es weg, ist kein Objekt mehr da.

MB: Das ist eigentlich eine immaterielle Einstellung...

RAX: Ohne dass man von Konzept- und Minimal-Kunst weiss, kann man das überhaupt nicht begreifen. Es war eine logische Nachfolge der Kunst der 60er, 70er-Jahre, wo man wirklich mit Immateriellem gearbeitet hat. Lawrence Weiner, die New Yorker Künstler, Joseph Beuys natürlich - die haben da auch mit Performance angefangen. Das war nicht so üblich. Wir haben dann quasi gemeinsam Performances gemacht und das ausgetauscht. Und das war wirklich sehr spannend. Mein Beitrag dabei war: ich habe das Projekt organisiert. Und den Raum geschaffen. Für mich war das mein künstlerischer Beitrag, dass ich den Raum geschaffen habe. Man hat natürlich Künstler gesucht, die fähig waren, Konzepte in diesem Raum zu realisieren.

MB: Wie siehst Du den Faktor der Kommunikation bei solchen Sachen eigentlich?

RAX: Der Inhalt war die Kommunikation an sich. Was dann passierte, war ein halbseitiger Austausch. Es hat mir sehr wenig bedeutet, was an den beiden Plätzen stattfindet, sondern der Austausch dazwischen war mir wichtig.

MB: D.h. das, was dazwischen stattfindet?

RAX: Es wurde ein Raum hergestellt, und dieser Raum dazwischen war Form und Inhalt. Es ist kompliziert zu erklären. Jetzt sind wir in der Situation, in der wir von Net Art und diesen verschiedenen Künsten reden, die aus den Telekommunikationsmedien kommen. Aber die meisten verstehen das immer noch nicht, was das eigentlich ist. Es ist ein großes Verständnis-Problem für Museen, Kunstbetrieb und Kunstkritik, Theoretiker und Kunsthistoriker: dass hier eine Situation ist, in der überhaupt kein Gegenstand vorhanden ist. Kein Original. Überhaupt kein Objekt ist mehr da. Es ist einfach Kunst.

Norbert Math: Oder Information.

RAX: Das kann man sehen, wie man will. Ich weiss selber nicht, ob es Kunst in diesen Systemen gibt.

MB: Was heisst das: Du weißt es selber nicht?

RAX: Ich weiss es nicht. Ob alles Kunst ist, oder ob alles Information ist oder sonst etwas.

MB: Ach so; wie man es sehen soll?

RAX: Wir nennen es Kunstfrage, Künstlerbild, ...

MB: Als Bezeichnung?

RAX: (ja)

MB: Gibt es ist für Dich einen wesentlicher Unterschied in den Themen zwischen diesen frühen Kommunikationsprojekten und dem Internet, das ja vor ca. 10 Jahren eine Begrifflichkeit geworden ist. Du warst einer der ersten, die Projekte damit gemacht haben. Denkst Du, dass es hier einen wesentlichen Unterschied zu diesen früheren Kommunikationskunststrategien gibt oder zu diesen Medien wie z.B. Fax oder Telefon? Gibt es einen Bruch oder gibt es keinen Bruch dazwischen? Handelt man bei mit gleichen Grundlagen?

RAX: Na ja, das ist alles sehr kompliziert; das ist keine Frage. Du weisst das.

MB: Ich weiss es schon, na ja ...

RAX: Wir haben schon einmal versucht, eine Frage zu formulieren. Die Geschichte dieses Systems fängt vielleicht mit dem Beginn der Fotografie an, wo erstmals technische Reproduzierbarkeit entstanden ist. Aufnahmesysteme. Und dann, sehr schnell, Bildübertragungssysteme. Die Fotogravur. Die Zeitungen haben ein fotografisches System verwendet, Fotolitho usw. Bildübertragung mit dem Telegrafen hat auch im 19. Jahrhundert stattgefunden. Die Geschichte der Übertragung und Informationsübertragung in elektronischen Systemen ist eigentlich noch gar nicht geschrieben. Es läuft dann alles in die Geschichte der Fotografie, und parallel dazu, in die Geschichte des Soundrecordings. Es gibt bereits alle diese Geschichten. Aber sie sind niemals zusammengekommen zu einer interessanten Theorie. Und das ist fast unmöglich. Friedrich Kittler hat sehr viel beigetragen, er hat wirklich versucht, einfach Aufnahmesysteme zu beschreiben. Hauptsächlich als Germanist natürlich, mit Literatur zur Informationsübertragung usw. Aber ist es nicht so, dass wir mit dem Computer, etwas neues erfahren, insoweit, dass das Bild digital ist? Das kannst du nicht in ein früheres Bezugssystem setzen. Für die Musiker stellte sich die Problematik mit der Digitalisierung viel früher. Das Videotape wurde einfach erst Mitte der 60er-Jahre erfunden, und das kommt von der Technologie des Soundrecordings, das heisst des Wire-Recorders aus den 30er-Jahren. Der Taperecorder war eine deutsche Erfindung, die von den Amerikanern im ausbombardierten Deutschland gefunden und nach Amerika geschleppt wurde. Und das war dann das Soundtape. Alle diese Sachen sind völlig auseinandergenommen; die gehören einfach in eine einzige Geschichte der Aufnahmesysteme; Recording Devices.

MB: Also Aufzeichnungsverfahren?

RAX: Ja. Damit haben wir eine völlig neue Welt: es gibt keine wirkliche Vergangenheit mehr. Es gibt nur noch einen Präsens. Alles ist verfügbar. Wir haben Fotos, Aufnahmen. Mit der Digitalisierung ist einfach die Wahrhaftigkeit in Frage gestellt; d.h. du weisst nicht, ob etwas wirklich wahr ist, weil alles manipulierbar ist. All das ist jetzt in den letzten zehn, fünfzehn Jahren dazugekommen. Aber die Geschichte davon ist viel länger. Wenn wir hier von der Transition von Fax-Systemen oder dieser primitiven Bilddigitalisierungs- und Bearbeitungssysteme Ende der 70er-Jahre reden, heisst das: diese Systeme waren erstmals verfügbar für normale Personen. Künstler sind oft Stellvertreter für die Allgemeinheit. Die meisten Leute in einer Gesellschaft haben keine Inputmöglichkeit. Weil sie nicht trainiert sind, Ideen auszudrücken; Künstler sind einfach immer herausgefordert zu Ideen, zur Verwirklichung von Ideen.

MB: Meinst Du in dem Sinn, dass Du diese Gerätschaften einfach auf das hin austestest, was sie vielleicht an Wirklichkeit produzieren können?

RAX: Nun, wir haben die Geräte von den Firmen bekommen, weil die keine Ahnung hatten, was man mit diesen Maschinen machen könnte. Telefaxmaschinen waren damals noch ziemlich primitiv. Das waren sogennante "Group 2"-Geräte, die waren nicht ganz langsam, aber haben für eine Bildübertragung schon vier, fünf Minuten gebraucht. Und da ist sind die "Group 2"-Maschinen aus Japan gerade gekommen und die Firmen wollen sie einfach irgendwie präsent machen. Und so konnte man leicht an jemanden kommen, der bereit war, die Maschinen herzuborgen. Die waren unglaublich teuer, an die 4.000 Euro für eine Faxmaschine! Sie haben die hergeliehen, weil sie sie einfach an die Leute bringen wollten. Drei, vier Jahre lang konnten wir jede Menge Maschinen bekommen. Und innerhalb von vier Jahren waren dann Faxmaschinen en vogue.

MB: D.h...?

RAX: Bis 1982 konnte sich jeder so eine Maschine ausborgen, aber 1983 war dann niemand mehr daran interessiert.

MB: Dann haben sie sie verkauft?

RAX: Ab Mitte der 80er-Jahre hatte jeder im Büro dann relativ schnell eine Faxmaschine. Da war dann überhaupt kein Interesse mehr an Kreativität. Das war die erste große Enttäuschung. Dass es nicht so zu einem kreativen Schwung gekommen ist, wo Leute miteinander gearbeitet und Bilder ausgetauscht hätten. Fax wurde zu einem rein geschäftlichen Ding; man hat nur noch Briefe, Dokumente übermittelt.

MB: Wenn ich es jetzt böse ausdrücke: Ihr ward die Alpha-Tester für die Gerätschaften und dann haben die Firmen sie auf den Markt werfen können...?

RAX: Ja, das könnte man schon so sagen...

Heinz Cibulka: Aber wäre Dir lieber gewesen, es hätte 2 Millionen Künstler gegeben, die plötzlich untereinander gearbeitet hätten? Oder mit diesen Geräten?

RAX: Na, wenn man die nötige Naivität dazu hat... [lacht] ... Wie es ja auch die Beuys'sche Naivität war zu sagen, dass jeder ein Künstler ist, man braucht nur die Gelegenheit dazu. Und die dann sofort anfangen und sich kreativ betätigen, und man muss ihnen nur den Weg zeigen. Und dann werden die Leute diese neue Möglichkeiten nutzen und alle wollen Bilder austauschen... Das ist nicht passiert.

MB: Passiert es beim Internet auch nicht? Internet ist ja auch jetzt seit ca. acht Jahren etwas Öffentliches.

RAX: Das Internet ist auch auf einer zweiten Stufe. Die Geschichte des Internet ist auch eine sehr interessante Angelegenheit, mit seinen Wurzeln im Militär und den vernetzten militärischen Forschungsprojekten der Amerikaner in den 60er-, 70er-Jahren. Aber hauptsächlich ist die Theorie zu diesem Internet eigentlich aus dem Bulletin-Board, den Mailboxsystemen der Hackerszene gekommen. Die haben einfach Systeme aufgebaut, die völlig ausserhalb der Institutionen waren. Es waren eigentlich die ersten vernetzten Personal Computer. Und das Internet hat sich langsam durchgesetzt, weil es institutionalisiert wurde - das war Mitte der 80er-Jahre - in Bibliotheken und Universitäten in Amerika und teilweise auch international. Das Problem des Bulletin-Board war, dass man das Telefonsystem benutzen musste. D.h. innerhalb von Amerika und auch innerhalb von Europa konnte man durch diese vernetzen Systeme alles austauschen. Es war relativ beliebt, weil das System verschiedene Protokolle hatte, die man nutzen konnte, um von einer Maschine zur nächsten zu gehen. Über den Atlantik oder nach Asien jedoch konnte man nicht so leicht kommen, weil das zu teuer war. Die Telefone und die Modems waren damals langsam und teuer. Aber es war ein System, das wirklich parallel zum Internet war, völlig unabhängig. Es entstand grosses Interesse, besonders in Kalifornien, wo Akademiker Zugang zu den Bulletin-Board Systemen gehabt haben. Diese "Hacker" sozusagen. Zu diesen Systemen von privaten, vernetzten Computern. Das Fido-Net hatte in den 80er-Jahren mehr als 35.000 Server online. Und dann hat es natürlich auch andere Verbindungen gegeben. Es war zwar illegal, aber wenn z.B. ein Universitätsassistent einen Freund hatte, hat der dann sein Konto benutzen können, usw... Langsam ist das passiert. 1990 hat es angefangen zu kochen, und 92 war das Internet an der Grenze zur Zugänglichkeit für Normalpersonen. 94 war es dann wirklich offen. Wenn wir über die Geschichte des Internet für die Allgemeinheit reden, sprechen wir hier eigentlich nur von den letzten acht Jahren. Die ersten drei, vier Jahre haben sehr viele Künstler sehr viele Sachen mit Internet gemacht. Man hat eine kritische Kunst in das System selber einbringen wollen; eine Konzeptkunst, die basiert auf dem System selbst. Aber im Internet ist ja leider auch nicht alles so gekommen, wie wir es gehofft haben.

MB: Und was waren Deine Hoffnungen?

RAX: Das ist mir zu peinlich.

MB: Oder, besser gesagt: Was würdest Du in Frage stellen an diesen Gedanken der frühen 90er-Jahre? Ich war ja damals auch schon dabei. Und ein Gedanke - den haben wir ja auch schon besprochen: man geht in diese Systeme, damit man selbst auch darin vorhanden ist; dass man es nicht einfach allen anderen Institutionen oder Geschäftemachern überlässt, sondern dass man sich selber auch Raum schafft. Du hast vor zwei Tagen zu mir gesagt: Wir scheinen am Ende eines Anfangs zu sein; und ich weiss, dass Du das im Moment sehr kritisch siehst. Was relativierst Du von diesen Hoffnungen oder von diesen künstlerischen Konzepten?

RAX: Ja, ich bin von dieser Sache ziemlich deprimiert. Ich bin ja älter als die meisten dieser "älteren Generation"; meine "Zeitgenossen" sind um die 40, 45 Jahre alt, ich bin über 60 - und das ist doch ein Unterschied. Ich habe erst spät angefangen. Und wir haben alle irgendwie etwas anderes erwartet. Und ich fürchte, dass das Internet ziemlich schnell zu einem Bürosystem wie die Faxmaschine wird. Das ist mein Gefühl. Es wird einfach quasi zum Mailordersystem, oder sagen wir Versandsystem - und Telefon, Telefax und die Post ersetzen. Etwas Neues, etwas wirklich Neues, was wir uns erhofft haben, scheint nicht zu entstehen; es wird nur ein effizientes Postsystem. Internet wird ein Bürosystem. Und das hat Folgen. Seit dem man die allgemeinen Netze von Computern kontrollieren lässt, hat man viele Leute entlassen. Die Maschinen, die miteinander kommunizieren können, sind ziemlich selbständig. Bis zur robotergesteuerten Fabriksebene, bis zum Bürolevel, alles. Ich habe ein ziemlich pessimistisches Gefühl. Und diese ganze Sache wird ziemlich schnell von einer einzigen grossen Firma beherrscht. Wie das weitergeht, kann man sich überhaupt nicht vorstellen. Es scheint so sehr dominiert von dieser einen Firma, in einer Art und Weise, dass man ziemlich pessimistisch sein muss.

MB: Meinst Du das jetzt allgemein oder in Hinsicht auf das "Künstlerische" oder Andersartige, wenn Du diese Kommerzialisierungstendenzen kritisierst? Wir alle, die wir beispielsweise mit Videokunst arbeiteten, hatten irgendwie so einen sozialen Anspruch darin. Mit der Videokamera oder dem Videosystem, hat man immer gesagt, kann jeder sein eigener Filmemacher werden; das ist auch die Demokratisierung der Kunst. Am Anfang haben wir beim Internet ähnlich argumentiert, sage ich jetzt einmal: Dass jeder potentiell die gleiche Chance hat, egal ob du jetzt ein großer Konzern bist oder eine Einzelperson oder eine kleine Interessensgruppe: dort vorhanden zu sein und sich untereinander auszutauschen. Es gibt da einen Slogan von Dir - "The Art of Being Everywhere" (die Kunst, überall zu sein) - der ja schön ausdrückt, worum es auch plötzlich gegangen ist: dass wir hier sind und gleichzeitig, potentiell, auch an allen anderen Orten der Welt.

RAX: Ja, diese naive Einstellung war eigentlich okay und sie stimmt auch teilweise. Wir leben aber jetzt in diesem Klima der Globalisierung. Zur Globalisierung habe ich damals eigentlich eine ziemlich positive Einstellung gehabt und jetzt sehe ich es nicht mehr so positiv. Das war aber nicht nur ein Problem für Künstler, die sowieso nicht allein schuld an dieser Sache sind. Aber wir haben dazu beigetragen, als Alphatester oder Betatester von Systemen, die am Ende von Firmen genutzt worden sind, die Cruise Missiles hergestellt haben. Dieses System haben wir verwendet. Damals gab es ziemlich starke Kritik, von Künstlern, Aktivisten und anderen: was wir gemacht hätten, Anfang, Mitte der 80er-Jahre, wäre bloss eine Verschönerung von Militärsystemen gewesen. Nichts anderes als quasi geduldete Spielereien. Und das Schlimmste wäre, das alles zu verharmlosen. Nur wir wollten eigentlich ganz was anderes: in diesen Systemen Fenster aufmachen, und es gäbe darin Platz für Menschen, für etwas Anderes. Es scheint aber, dass die Kritiker recht gehabt hätten: diese Phase ist vorbei, wo man einfach überhaupt noch einen Einfluss auf das System haben kann, oder auch nur davon träumen kann. Nun ist das System doch zu seinem "wahren Zweck" gekommen, das empfinde ich so. Man hat das Gefühl, ein ziemlich starkes - und das kommt nicht nur von mir, sondern auch von anderen Kritikern aus Amerika und aus allen Teilen der Welt - dass das Internet quasi ein Kontrollmechanismus geworden ist.

MB: Ein Kontrollmechanismus, der die Menschen kontrolliert?

RAX: Es ist sozusagen immer mehr zu einem Überwachungssystem geworden. Ich meine, nicht so absolut total, aber das Hauptinteresse der Regierungen in den Vereinigten Staaten und auch in Europa am Internet ist, dass man damit ein Kontrollmittel hat: Wenn wir alle online sind, verbunden mit der Handymaschine, ist das ein Super-Kontrollsystem. In diese Richtung geht es, und natürlich ist das ein Grund für Pessimismus. Und ich muss sagen, ich war einmal ein ziemlich optimistischer Operand in diesem System. Na ja, jetzt habe ich meine Zweifel.

Frau aus dem Publikum: Das mit dem Kontrollmechanismus stimmt sicher, aber es gibt ja doch auch immer wieder Möglichkeiten, ein System zu unterlaufen. Kennst Du z.B. die Aktivitäten dieser Künstlerkonfiguration Yes-Men, die genau das machen. Die sich sozusagen irgendwie über das Netz figurieren und im Zusammenhang des Aktionismus gegen die wirtschaftliche Globalisierung antreten. Und die dabei auch sehr spannende und sehr spektakuläre Auftritte liefern, wie vor zwei Jahren beim Kongress in Salzburg. Ich weiss jetzt nicht mehr, ob ich diese Geschichte genau hinkriege, aber es war offensichtlich so, dass von Kongressseite aus internationale Homepages von Firmen etwas schlampig recherchiert worden sind. Die sind dann auf eine Homepage gestossen und haben nicht festgestellt, dass sie ein Fake von einer anderen Homepage war, und haben die Leute von dieser Homepage zum Vortrag eingeladen. Diese Leute wiederum haben diese Informationen weitergegeben an die Yes-Men, und diese haben diese Situation genutzt und tatsächlich jemanden als "Doktor" zu diesem Kongress hingeschickt für einen Vortrag. Und das ist ja eigentlich eine irrsinnige Geschichte; es gibt ja doch trotz der Kontrollmechanismen Möglichkeiten, auch Antiforen zu schaffen. Siehst Du da die Chancen jetzt eingeschränkter als wie vor ein paar Jahren?

RAX: Ich glaube, es hat sich erwiesen, dass die Vernetzung in Kombination mit Mobiltelefonen doch gefährlich sein könnte. Erstmals hat das Seattle bewiesen. Seit diesem Anschlag in New York ist es irgendwie noch gefährlicher geworden; in einer Art Flagstorm haben die Mächtigen das ganze von uns genommen. Und mit dieser Art von Kritikern geht das nicht so weiter; Alternativnetze werden verschwinden müssen, sagen die Mächtigen.

MB: Meinst Du, dass die Kontrollmechanismen gegen diese "revolutionären Zellen" auch immer größer werden? Auf der anderen Seite kann ich mich erinnern, dass nach der vielgerühmten Regierungsumbildung gerade aufgrund von Homepages oder Mobiltelefonen es auch möglich war, ganz kurzfristig und ganz effektiv Demonstrationen zu organisieren.

RAX: Das war super; aber jetzt werden die Mobiltelefone kontrolliert.

MB: Aufgrund dessen?

RAX: Die werden dann einfach als Waffe betrachtet, verstehst Du? Jetzt kommt es aus verschiedenen Protokollen, z.B. des amerikanischen Kongresses, heraus, dass die Geheimdienste sofort meinen, dass dies Waffen sind. Bestimmte Hackeraktivitäten werden einfach verallgemeinernd dämonisiert. Alle Zugänge, wo man potentiell gefährlich sein könnte. Sofort wird die Idee lanciert, dass man durch diese Systeme Menschen vernichtet. Als z.B. dieser Anschlag in New York auf das World Trade Center war, haben die Attentäter auf eine Zeit gewartet, wo wenig Leute im Gebäude waren. Aber es wird das Gegenteil behauptet und hinaufgespielt, und jetzt gibt es eine Hysterie, dass Leute diese Systeme für einen Anschlag mit Atomwaffen irgendwo im Staat New York nutzen, und dann wären so viele Leute wie möglich tot. Das ist einfach ein hysterisches Aufbauschen. Z.B. Irak: Wenn man einmal eine wirkliche Kriegsstimmung hat, hat man auch gleich Kriegsgesetz. In einem Kriegsgesetz ist es vorbei mit offenen Systemen. Und als Offene Systeme werden plötzlich alle vernetzten Systeme betrachtet, wo wir aber auch alle drinnen sind, mehr oder weniger. Und dann wird innerhalb des Systems dieses positive Element, das ich so und so genutzt habe, immer beschränkter. Aber das Kontrollsystem ist immer da. D.h. aber, dass dieses System immer genau so locker sein muss, dass alle Leute noch drinnen sind. Aber dann ist es nicht mehr brauchbar als Kriegsinstrument.

Frau aus dem Publikum: Aber es gibt natürlich auch eine Kontrolle von beiden Seiten, denke ich mir. Es hat ja nach dem Anschlag im September die Lancierung dieses Office of Strategic Influence (OSI) gegeben, dieses dem Pentagon unterstellten Institutes, dieser Organisation zur gezielten Lancierung positiver Gerüchte über Amerika in den Ländern des arabischen Raums. Die Kontrolle, die von der anderen Seite möglich ist, ich hab das z.B. auch effektiv genutzt, es war eben in Europa bedingt nur zu erfahren durch den einen oder anderen Zeitungsartikel; aber es war im Netz in fast allen größeren amerikanischen Zeitungen Stellungnahmen zu diesem OSI zu lesen. Und es hat ja offensichtlich auch so einen Wirbel gemacht, dass die Idee zurückgezogen worden ist, vorgeblich. Keiner glaubt daran, natürlich. Es ist immer die Frage; aber immerhin hat es zumindest den Anschein, die Möglichkeit der Kontrolle jetzt nicht nur von staatlicher Seite aus; sondern es geht auch von einer Öffentlichkeit aus, die sich den Zugang zu Informationen verschaffen kann.

Wolfgang Raffesberg: Kontrolle ist auch immer eine Frage des Geldes.

MB: Da muss ich dann auch sagen: wer mehr Geld zu Verfügung hat, hat sicher die effektiveren Kontrollmethoden - und Geld hat das Pentagon sicher.

Wolfgang Raffesberg: Was mir Kopfzerbrechen macht, wie wäre es vorzustellen, wenn vor 60, 70 Jahren diese Technologie zur Verfügung gestanden hätte? Hätte das dann der Vernichtungsmaschinerie gedient oder was sonst?

RAX: Das Problem mit diesen Systemen ist, dass sie einfach nicht sind, was sie vorgeben. Dass man sie nicht verstehen kann. Ich meine, Bulletin-Board Systeme waren tatsächlich unabhängig und nicht kontrollierbar. Wenn man ein Telefonnetz benützt, zahlt man entsprechend Telefonrechnungen. Natürlich könnte man das Telefon überwachen, man könnte es absperren, man könnte Leute einschmuggeln und Geheimdienste könnten reinschnüffeln. Das ist schon klar. Aber trotzdem war es prinzipiell offen. Das Internet ist einfach kontrollierbarer, d.h. es läuft über kontrollierte Systeme, es läuft über internationale Gesetze. Es wird immer formaler und immer kontrollierter.

MB: Genau wie Mobiltelefone, oder?

Frau aus dem Publikum: Aber es gibt doch keine technische Neuerung, die nicht aus dem Kriegsgedanken heraus produziert worden ist, die wir aber trotzdem alle inzwischen nutzen; auch die Fotografie, nebenbei bemerkt. Es hat ja diese freie Stellung während dieser neuen Medienentwicklung nie gegeben; dass etwas aus diesem Forscherdrang, der nicht kanalisiert gewesen wäre, entwickelt worden wäre.

RAX: Ja, da sind wir eigentlich am Ausgangspunkt unseres Gesprächs: dass wir irgendwie am Ende von etwas sind. Vor 20, 23 Jahren hatte man immer das Gefühl: die Entwicklung geht sehr sehr schnell. Dann kommen wir einfach zu einer neuen digitalen Welt; die Industriegesellschaft ist vorbei und es kommt eine elektronische Gesellschaft. Und jetzt wird mir immer klarer: wir sind am Ende dieser Entwicklung. Es ist der Moment, wo wir einfach schon in dieser elektronischen Gesellschaft sind, oder wenn man es anders nennen möchte, in der postindustriellen Welt; die Zeiten von Manufaktur und von linearen Systemen sind vorbei, auch die von Glaubwürdigkeit von Texten und Argumenten, die linear aufeinander folgen. Das ist der eine Punkt, dass diese Zeiten vorbei sind. Wir sind in dieser neuen, holistischen Welt und die ist nicht so schön, wie wir sie uns vorgestellt haben. Denn jetzt sieht man, dass man mehr oder weniger ausgeliefert ist. Jetzt kommt eine ganze Reihe von Monstern aus dem Industriezeitalter, um diese Systeme zu kontrollieren. Anders kann ich das nicht formulieren; ich weiss, dass diese Formulierung nicht wirklich stimmen kann. Aber man hat das Gefühl, dass hier ein kritischer Moment ist und man keine Ahnung hat, was als Nächstes passiert. Und das macht mir wirklich Sorgen. Und es macht mich nervös, weil ich irgendwie zu dem Glauben an dieses System beigetragen habe. Als Künstler hätte man schon Verantwortung, dass man das nicht verharmlost. Und dass man da ein bisschen kritischer hätte sein können.

MB: Ich glaube, dass das, was Du gerade gemeint hast, ein wesentlicher Unterschied ist zu dem blossen Gebrauch von Dingen, deren Entwicklung irgendwann mal aus der Waffentechnologie stammt. Und in dem Fall war es ja wirklich anders. Wenn ich vorher das Stadium des Alphatesters angesprochen habe, meinte ich damit: Normalerweise ist der Alphatester dazu da, die Gerätschaften so völlig verquer zu benutzen, damit nachher für die Industrie die Fehler offensichtlich werden, und die Industrie diese Geräte optimieren könnte. Ich weiss nicht, ob Du jemals bei einer solchen Entwicklung wirklich dabei warst: Man hat am MIT viele Künstler ziemlich herumspinnen lassen mit diesen neuen Medien und Kommunikationsmedien, nur damit sie es "ästhetisch austesten". Was dann damit gemacht wurde, mit diesen Ergebnissen, die die Künstler eventuell produziert haben, war jedoch etwas anderes. Diese wurden dann unter Umständen ziemlich lückenlos für Waffentechnologien verwendet. Du hast ja auch gesagt: der Golfkrieg wäre der erste große Schock gewesen. Als man wirklich draufgekommen ist, an welchen Entwicklungen man selber als Künstler "mitgearbeitet" hat - man kann das nur für sich selber relativieren, wenn man an und mit dieser Technologie gearbeitet hat; dann ist das schon eine wesentliche, eine sehr persönliche Sache. Dass man als Künstler plötzlich dekodiert wird, dass man als Künstler nur der Alphatester war. Oder sehe ich das falsch?

RAX: Ich meine, der Golfkrieg war ein Moment der Ernüchterung für viele amerikanischen Kollegen, die in diesen Labs gearbeitet haben und Zugang dazu hatten. Diese Künstler haben in Robotic-Labs gearbeitet, und die Leute dort waren sehr sympathisch und hatten die Geräte und waren interessiert. Aber gerade diese Leute an den Robotic-Labs an der University of Stanford oder am MIT, die wollten einfach die Cruise Missiles, die ferngesteuerten Systeme und das Automated Battlefield. Und im Golfkrieg war es das erste Mal, dass man diese Dinge tatsächlich in Aktion gesehen hat. Also viele dieser Kollegen waren im Tiefschock. Weil es nicht mehr zu verleugnen war, dass sie tatsächlich mitgemacht hatten. Das war ziemlich präsent.

Gue Schmidt: Eine Frage dazu: Gibt es vom Golfkrieg nicht erst diese Spielvariante, die über dem elektronischen Sektor realisiert werden konnte? Also ich komme zum Beispiel zu einem Freund, das war während des Golfkriegs und er zeigt mir ein neues Spiel vom Golfkrieg; ob ich das nicht spielen möchte. Und ich sagte: eigentlich nicht. Und er hat's mir dann vorgeführt; das war für mich bedenklich. Wurde der Krieg vorher nicht schon ausprobiert in diesem Medium?

RAX: Das ist eine Parallelgeschichte, davon weiss ich weniger. Es gab natürlich die Tatsache, dass die taktischen Militärsysteme der USA damals ziemlich stark mit Simulationen gearbeitet haben. Und wir reden hier von Virtual Reality - und das ist ein System, dessen Entwicklung auch von Pentagon-Programmen über Robotics usw. finanziert wurde. Wo man z.B. die Piloten ausbilden konnte, indem man ihnen einen Virtual Reality Suit gibt. Der Pilot fliegt in einem virtuellen Flugzeug, alles mit Hydraulik, er hat ein 1:1 Gefühl davon, einen schnellen Düsenjäger zu fliegen. Sie haben dann auch Panzersysteme entwickelt, wo man wie in einem Panzer sitzt und auf einem Schirm die ganze Umgebung sieht. Die Cray-Computer, die dafür verwendet wurden, waren ziemlich schnell; und die haben das auch gut simuliert. Und eine dieser Simulationen war sicher ein möglicher Wüstenschlag. Man konnte diese Systeme so programmieren, dass man ein bestimmtes Terrain - z.B. Deutschland oder Griechenland oder Kosovo - hatte. Und man stellte auf diese Koordinaten ein und konnte mit dem Panzer durch dieses Terrain fahren. Das wurde natürlich immer raffinierter. Künstler haben schon dazu beigetragen.

Mann aus dem Publikum: Wie haben Künstler dazu beigetragen?

RAX: Na ja, man wurde eingeladen, dass man mit diesen Systemen ein bisschen spielt. Ich kenne Leute, wie Leute in Kalifornien in den 70er-Jahren, die hatten Zugang zu bestimmten Systemen, die später dann verschwanden. Es war wahrscheinlich ein Pentagonprogramm, und später haben dieselben Leute keinen Zugang mehr bekommen, denn da war das quasi schon ein "Geheimteil". Weil alle diese Programme, wo man in den 80er-Jahren Zugang zu diesen Computern gehabt hat, hatten einen Securityteil. Da konnte man nicht rein, das war mit allen möglichen Schlössern versperrt. Die Forschungsprojekte, die interessant waren, hat das Pentagon finanziert. Und wenn sie fürs Pentagon interessant wurden, hatten sie den ersten Anspruch und die Sachen sind verschwunden, Security.

MB: Man hat gearbeitet und jemand hat geschaut, ob das interessant sein könnte? Und wenn ja, war es einfach weg?

RAX: Natürlich; sie hatten viel Geld und das waren Superprogramme. Es wurden sehr interessante Forschungsprojekte finanziert. Und es war nur ein ganz kleiner Teil, vielleicht ein Prozent von allen Programmen, die dann doch militärisch interessant waren. Und diese sind verschwunden. Aber sie haben das bezahlt. Nur zwei oder drei Mal ist es zu finanziellen Ungereimtheiten gekommen. Ich glaube, das ist in den 60er-Jahren passiert. Dann wurden die Programme ziemlich geschrumpft und plötzlich waren viele Akademiker arbeitslos; das war ein großer Schock. Das war jedoch nur eine Phase. Mit den russischen Fortschritten in der Raumtechnik, mit dem Sputnik und so, ist dann wieder unglaublich viel Geld hineingegangen.

Gue Schmidt: Aber die Verantwortung als solche, ob Künstler jetzt daran teilgenommen haben oder nicht, die hat man sich ohnehin schon gestellt. Ich meine auch in dieser Art und Weise, dass man an den Programmen irgendwie teilgenommen hat; indem man das Internet oder die in diesem Zusammenhang entstehenden Medien gut geheissen hat oder als Heilsmittel gedacht hat. Also die Verantwortlichkeit - also man muss sich der Verantwortung ohnehin stellen; ob man da jetzt künstlerisch tätig war oder als ganz normaler Billaverkäufer in dem Sinn: weil man ja am Diskurs des Gesellschaftlichen teil genommen hat.

RAX: Schau mal: In einer Woche wird Leni Riefenstahl 100 Jahre. Jede Zeitung und das Fernsehen hat Interviews, die 15 Jahre alt sind, ausgegraben. Man hat sie gefragt: Was hast Du damals gemacht? Und sie sagt: "Ich habe nur meine Kunst gemacht. Ich meine, wer könnte denn nein sagen? Die Regierung hat bezahlt und es waren irrsinnige Möglichkeiten da. Ich habe nur mein Bestes getan." Aber sie hat Propagandafilme für die Nazis gemacht. Die waren brillant; sie müssen nicht unbedingt gut gewesen sein. Stimmt auch, ich meine, sie ist eine Superkünstlerin. Aber sie hat jetzt die Verantwortung. Was hat sie damals gemacht? Niemand weiss, was sie gemacht hat; ich weiss es auch nicht. Was soll Leni Riefenstahl denn sagen? Ich habe auch Sachen gemacht, unbewusst. Und sie sagte, sie war sich auch nicht bewusst. Das kann ich bezweifeln, aber beweisen kann ich gar nichts. Aber das ist doch eine klassische Situation. Wir reden nicht über Wernher von Braun oder ein Killerkommando im Kosovo oder was immer. Wir reden hier über eine Künstlerin, die ihre Kunst genützt hat, einfach in einem brillanten Propagandafilm. Und sie hat für diesen Film Preise gewonnen, auch international. Wo stehen wir?

Gue Schmidt: Aber ist es nicht das gleiche, wenn man z.B. Marinetti hernimmt; das futuristische Manifest. Wie nahe stand er der politischen Tendenz, oder wie weit war es ihm bewusst, die politische Tendenz zu forcieren?

RAX: Ich glaube, das ist doch ein anderer Fall; das ist für mich ein bisschen so eine Theorie von einem Künstler, man kann das nicht so einfach sehen. Er hat eigentlich immer Schwierigkeiten mit Mussolini gehabt. Ich glaube nicht, dass Marinetti irgendwie auf diese Art und Weise so eng dachte, seine Kunst zu nützen, um Faschismus zu fördern in dem Sinn.

Gue Schmidt: Nein, es war nur der Gedanke der Verantwortung. Es ist immer die Frage, die man sich stellt: bei Marinetti oder bei allen anderen.

RAX: Es gibt Parallelen aus der faschistischen Zeit. Aber wir haben keine Zeit, darüber zu reden. Es gibt z.B. das Ahnenerbe, das war SS-Sache unter Rosenberg und vor allem Himmler. Es sollte beweisen, dass die ganze Weltkultur quasi germanische Wurzeln hat. Da war unglaublich viel Geld dafür da. Und viele Akademiker, Wissenschafter, Dozenten usw. hingen von diesen Geldern ab, und diese Leute haben sie mit ihren Forschungen abgelenkt. Wie einen Physiker vielleicht aus dem Pentagon, dem sein Professor sagt: "Schau mal, krieg das irgendwie so hin, vielleicht kann das von militärischem Nutzen sein." Und der sagt dann: "Nein". Und der Professor sagt: "Na ja, überlege es dir noch einmal. Weil, wenn das der Fall wäre, und weisst schon du, dass dann für deine Forschungen viel Geld kommen könnte." Und das ist sicher passiert unter dem Naziregime, wo viel Geld vorhanden war. Konrad Lorenz war ein Beispiel.

Mann aus dem Publikum: Aber die Frage stellt sich: ist im kreativen Prozess etwas entschuldbar? Ob das jetzt in der Naturwissenschaft war oder im Künstlerischen. Man stellt sich halt die Frage. Ein Propagandafilm in der weiteren Folge eines russischen Starregisseurs in der Stalinära, der Eisenstein, der fällt mir grad ein; der hat Propagandafilme gemacht. Also ist im kreativen Prozess etwas entschuldbar?

RAX: Das kann man nur einzeln beantworten. Riefenstahl gibt an, dass sie an die Nazisache gar nicht glaubt. Was mich nicht besonders erstaunt, weil die Nazisache besonders bösartig ist. Ich glaube nicht, dass alles vergleichbar ist, Eisenstein, Marinetti und so; die Nazitheorie ist was ganz Eigenes für sich. Da ist kein Vergleich möglich.

MB: Wir wollen eigentlich nicht über den Marinetti und Riefenstahl im Einzelnen reden; das können wir vielleicht nachher tun. Es geht ja um die Entschuldbarkeit von kreativen Prozessen im Allgemeinen. Bob hat gesagt, er hätte den Schock, dass er unter Umständen etwas mit gefördert hat, zumindest beschönigt, was er - jetzt betrachtet nicht so gut fände. Diese Einstellung darf man haben, oder? Wie man auch die Sachen oder diese Systeme, die hier entstehen, die jetzt gerade en vogue sind, kritisch betrachten kann. Ich würde sagen, das ist zumindest eine sympathischere Haltung. Ich glaube, das ist der Grundkonsens, auf den wir hier uns jetzt einigen können.

RAX: Es geht hauptsächlich um die jetzige Situation. Es gibt genügend Beispiele aus der Vergangenheit, wo man sagt: wie kann man sich das anmaßen? Reden wir über Marinetti, von seiner Verantwortung, von seiner Kriegseuphorie um 1905 oder 1910; für die muss er sich verantworten. Und die Folge war der 1. Weltkrieg. Das ist eine Frage, die er selber beantworten muss. Aber er ist ein Beispiel von einem Künstler, der immer überlegt hat, was er gemacht hat, und im nachhinein kommt er drauf, dass er es besser hätte liegen lassen sollen. Und diese Frage stelle ich mir selber: War ich naiv? Hatte der Kritiker, der damals mit Vorwürfen kam, recht? Ich kann es nicht verleugnen, es war einen ganze Reihe von Kritikern, besonders kritische Aktivisten. So neutral, so wertfrei ist diese Technologie überhaupt nicht. Du weisst ja, woher das Geld kam; du weisst alles. Du machst es aber weiter. Wir haben aber gemeint, dass es ist eine künstlerische Verpflichtung sei, einfach eine neue Technologie zu öffnen. Dass die nicht nur für Militär oder für kommerzielle Sachen da ist, sondern auch für Menschen. Und das war unser Argument. Es scheint mir jetzt, dass mein Argument weniger Halt hat. Es war eine Situation, wo ich, wäre ich Marinetti in den 30er Jahren, ja, vielleicht sagen müsste: hätte ich besser etwas anderes gemacht.

Oder anders gesagt: ich hatte keine Vorstellung vom Ausmaß des faschistischen Krieges. Für die Leute, die unter dem Kalten Krieg gearbeitet haben, war Krieg quasi undenkbar. Da war dann dieser Wahnsinn in Vietnam. Ich meine, die USA haben sich dort eingemischt und haben sich wirklich schwer verbrannt. Aber viele Leute waren sich sicher: diese Sachen sind vorbei. Jetzt wird einfach alles mehr oder weniger überlegt. Und wir können ruhig weitermachen, weil es neue Waffentechnologien und das Projekt Peacemaker gibt - und dann gibt es keinen Krieg mehr. Das war das Gefühl.

Heute wird es immer gravierender. Z.B. das GPS-System - dieses Satellitensystem, das einfach alle Mobiltelefone vernetzen soll, mit dem man aber auch feststellen kann, wo sich die Menschen, die telefonieren, befinden. Das GPS-System gehört dem Pentagon, dem amerikanischen Militär. Die Europäer wollten einfach ein eigenes Netz aufbauen. Denn, falls ein Krieg mit dem Irak stattfindet, wird GPS dafür verwendet, und dann werden die ganzen Navigationssysteme natürlich abgeschaltet, weil sie ein Teil des Militär-Systems sind. Die weltweiten Nachrichtensysteme mit verschiedenen Satelliten; das hat wahnsinnig viel Geld gekostet und natürlich gehört es dem, der sie bezahlt hat: der amerikanischen Regierung. Und die Europäer wollen jetzt ihr eigenes System bauen und nun wird verhandelt. Amerika sagt: gut, okay; ja, wir machen einen eigenen Vertrag, ihr werdet nicht abgeschaltet, es wird ein partizipatives System sein usw., usf. Aber sie wollen einfach nicht, dass zwei Systeme existieren. Die Lastwagen in Deutschland fahren mit einem GPS-System, dort übernimmt das GPS-System die Verkehrsüberwachung. Plötzlich ist das ausgeschaltet, und dann fahren einfach überhaupt keine Lastwagen mehr...? Ich meine, die Sache ist nicht so einfach, nicht mehr nur isoliert auf die Kunst.


Auszüge dieses Gesprächs erschienen in: Im Fluss - Weinviertler Fotowochen 1999-2003, Wolkersdorf, FLUSS, 2004