Burghart Schmidt, Found & Lost Anstiftung zur gleichnamigen Aktion von Martin Breindl anläßlich der Veranstaltung FISCHERSTIEGE alter ego, Galerie Splitter Art am 7. Oktober 2006 |
Jetzt verspreche ich die ganze Zeit etwas und spreche darüber, was ich noch nicht näher erläutert habe. Der Titel »objet trouvé« hat in Breindls Arbeit hier etwas Bedenkliches an sich. In der Tradition hieß das gewöhnlich: irgendwo irgendetwas finden. Das stimmt bei Breindl auch soweit, aber ansonsten ging es beim »objet trouvé« um den Eindruck, etwas sei auf dem Müll oder auf dem Abgekippten oder im Rinnstein oder in anderem ungeachteten Nebenbei gefunden, man kann auch Kanaldeckel finden sowie vieles mehr. Und das irgendwie in der Zone dessen, was der Mensch heutzutage in seiner verwissenschaftlichenden Terminologie den »Entsorgungsbereich« nennt. Solches Verhältnis zum aufgefundenen Objekt liegt jetzt vor Ort bei Breindl so nicht vor, sondern das sind alles gefundene Gegenstände, die im Umkreis der Fischerstiege als Marktangebot statt Müll von Martin Breindl gesehen wurden und die er dann ganz normal gekauft hat, er hat sie also nicht im Rinnstein gefunden. Und so stehen sie da auch als saubere, antiseptische, keine Krankheiten verheißende Gegenstände, wie sie in jedem Laden angeboten sein können. Aber auch Kaufen heißt oft: etwas Auffinden. Vielfach allerdings nicht, da hat man vielmehr seine Kaufpläne, seine Versorgungspläne und wählt nur zwischen einer Anzahl von gleichen Objekten für gleiche Funktion nach irgendwelchen Gesichtspunkten. Und insofern wäre das Kaufen eine sehr planerische Angelegenheit, die mit dem Sinn des Findens offensichtlich nichts zu tun hat. Im Finden liegt nämlich immer ein Moment des Zufalls; das lag in der ganzen Tradition des »objet trouvé« vor, obwohl – und jetzt muss ich doch ein bisschen auf die Geschichte eingehen, an die sich das ein weiteres Mal anknüpft – klar sich zeigt, dass die Bewegung des »ready made« von Marcel Duchamp voller unauffälliger Absichten steckt. Duchamp hatte damit zunächst offensichtlich etwas anderes vor, als üblicherweise am »objet trouvé« diskutiert wird. Er wollte sich nämlich eigentlich nicht auseinandersetzen mit den Objekten, die er fertig vorgefunden hat, er stellte sie in Ausstellungssituationen einfach hin. Das sollte gezeigt haben: Ah!, der künstlerische Akt liegt nur in dieser einen Entscheidung, die zum demonstrativen Ausstellen und Vorführen geführt hat. Alles Andere wäre gar nicht das, was der Künstler eigentlich als Künstler mache und das sei schon immer in der Kunst so gewesen. Man könnte sich das dann gegenüber den Großwerken der Malerei und Skulptur nach der Art vorstellen: Außer dem Auswählakt wäre alles Technik und die kann man lernen. Dem entspricht eine lange Debatte an Kunstakademien, wie weit Kunst lehrbar wäre. Und da gibt es dann die verschiedensten Einstellungen dazu. Ich neige eher zu denen, die meinen, 95 Prozent an Kunst seien lehrbar, die letzten 5 Prozent aber liegen in solchem Gelände, wie das von Duchamp gemeinte, im Gelände der Entscheidungsakte dessen, was man auswählt, was man einsetzt. Wie man es einsetzt. Und diese Entscheidungsvorgänge seien nicht lehrbar. Demgegenüber meine ich zu Duchamp, man kann an dem Duchampschen Werk klar machen, dass in ihm auch mehr an Entscheidungen steckt als nur dieses Zeigen, nach dem der Künstler im Auswahlakt etwas zu Kunst erklärt. Was zu der Formel geführt hat, dass eben alle Dinge Kunst sein könnten, wenn dahinter die Entscheidung eines Künstlers stünde. Nein, wenn man Duchamps Objekte durchgeht, sind sie alle sehr struktural und funktional bei ihm. Das heißt, er ist auf eine Welt des Strukturellen und Konstruktiven eingegangen, oder auch Funktionalen– vom Fahrrad, vom Flaschentrockner, von der Bügelansammlung bis zum Pissoir in seiner hygienischen Funktionalität. Das heißt, er hat Symbolik einer bestimmten Zeitatmosphäre herausgegriffen und betont, weil herausgehoben. Man könnte das vergleichen mit dem, was Andy Warhol in die Kunst eingeführt hat: das Bild unserer Unterhaltungswelt oder unserer Konsumwelt. Und dazu wurde auch gesagt: einfach etwas herausgreifen, das ist dann durch Künstlerakt schon Kunst. Das kann man dann einfach kopieren oder technisch transformieren, x-mal, und dann trifft man auch noch die Welt in ihrer multiplikativen Serialität, also in ihrer industriellen Massenproduktion, durch künstlerische Darstellung hervorgehoben. Mit der Natur als ebenso transformativ massenproduktiven, multiplikatorischen als Auswahlrepertoire wäre das ja ebenso gewesen. Aber ich denke auch, wenn man an die frühe »pop-art« denkt, Andy Warhol und Robert Rauschenberg, dass diese Popartisten sehr wohl einen Sinn hatten für das, was in der Konsum- und Unterhaltungswelt schon vorsymbolisiert war, also zu mehr aufgeladen als für schlichten Konsum. Und da gebrauche ich gern die These: Marilyn Monroe ist nicht einfach nur ein Sex- oder Erotikideal, sondern sie, vielmehr ihr Bild ist der ganze Umhof von »american way of love«. Und solches ist mehr, als dass man hätte sagen können, es hätte auch Jane Fonda oder eine andere Schauspielerin sein können, oder höchstens näher die Busenlinie bis zu Brigitte Bardot. Nein, es ist der »american way of love«. So wie man auch bei Robert Rauschenbergs Begeisterung für die Coca Cola Flasche davon ausgehen muss: Coca Cola ist der »american way of drinking«. Das ist mehr, als wenn man irgendeine Getränkeflasche, die marktüblich ist und daher jedem sofort als anschauliches Objekt eingängig, für Kunst ausgewählt hätte. Demnach liegen auch Entscheidungsakte darin, die mit dem Zeitgeist zu tun haben, aus dem heraus die Künstler geschaffen haben. |
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Nun sind wir mit der Aufzählung ans Ende gelangt, die Objekte hat also Martin Breindl gefunden und man merkt, dass mit ihnen mehr zusammenhängt, als dass es nur irgendwelche Objekte wären. Wir haben ganz wesentliche Sachen in der Ausschauung vorliegen: Licht, dann die Handwerklichkeit der Selbsthilfe, wir sehen die Dreier-Symbolik, auch im Umgang mit Tüchern, wir haben etwas aus der Küche instrumentell, und die so wichtige Handtasche. Wie gesagt: selbst wer keine hat, der hat seine Jackentaschen und steckt damit im selben Feld der Probleme, die man mit dem Handtäschlichen hat. Die Objekte hat Breindl jetzt hier präsentiert, ganz wichtige Sachen aus unseren Lebensfunktionen. Und wenn man sie sich jetzt aneignen wollte, dann überschreitet er sogar das virtuell-Interpretatorische – Da kann man das jetzt sehen und dann kann man all das Zeug darüber reden, das ich jetzt geredet habe, und dann geht man nach Hause und lässt das vielleicht nachwirken, was man gesehen und dazu assoziiert hat, und kauft sich auch vielleicht Verwandtes. Doch - nun, hier läuft das noch weiter, weil Breindl das Finden ganz ernst nimmt. Gefundene Objekte wollen wiedergefunden werden. Finden ist ja schon ein Wiederfinden, das nächste Finden ist wieder ein Finden. In dem liegt nun drin, wozu ich Sie anstiften soll: nicht zum Kauf, sondern ich soll Sie anstiften zu dem Prozess, wie Gefundenes wieder verschwindet und doch auftauchen könnte. Das heißt, es geht jetzt um eine Prozession. Prozession war nie ganz kunstfremd. Das fing an für unser »christliches« Europa [»christliches« sehr in Anführungszeichen] mit den Mysterienspielen des Mittelalters, ging weiter mit den Triomphi der Renaissance, die erinnerten an die Triumphzüge im Alten Rom oder auch bei den Griechen. Und dann ging das weiter, etwa Hans Makart hatte sich noch mit Umzügen einen großen Namen in Wien geschaffen, das hing mit einer Art Kunstkarneval zusammen. Das Prozessionale ist also der Kunst keineswegs fremd. Jetzt allerdings geht es um eine Prozession, die nicht etwas hervorholen oder erreichen soll, sondern die etwas verschwinden lassen will; dorthin, wohin Gefundenes oft seinen Weg nimmt, nämlich in eine Box des Fundbüros. Wer dann einen der erfahrenen Gegenstände seinerseits wieder aus dem Fundbüro herausgrabbeln will, der muss sich an das Fundbüro dieser Gegend wenden. Dazu freilich muss er mit dem kommen, was ein Fundbüro verlangt: nämlich das Objekt genau kennen. Weil man denkt, man müsse nachweisen, wer der richtige Eigentümer gewesen ist. Wer hat das Objekt im Fundbüro verloren? Daher müssen Sie die Objekte jetzt, falls Sie Interesse haben, genau anschauen, um beim Fundbüro sich als ehemalige Eigentümer aufzuweisen durch Bekanntheit mit ihnen. So wird der virtuelle Aneignungsakt zu einem Akt des intensiven sinnlichen Sich-Aneignens. Das überschreitet den Kaufakt. Der Kaufakt hat ja sogar etwas Gegenteiliges an sich. Das lernte ich durch die Kopierkultur, man kann das übertragen auf den Kaufakt. Als die Studenten anfingen, alles zu kopieren und zu kopieren, folgten sie richtig dem Goethe-Vers: Was ich schwarz auf weiß besitz, kann ich getrost nach Hause tragen. Gemeint ist damit: der Kopierer hat ja für mich schon gelesen, ich brauche nicht zu lesen. Ich habe es mir per Kopie angeeignet. Vielleicht denkt man: ja, in Zukunft, in drei Jahren mal ... Es passiert nie. Also das ist eine Aneignungsform, die gerade dazu antreibt, sich die Sache intellektuell, virtuell nicht anzueignen. Solches ist gewöhnlich auch mit dem Kaufakt so verbunden, wenn es nicht gerade um direkten funktionalen Umgang geht, aber der funktionale Umgang steht auch bestens dafür, dass Sie sich nie mit dem sinnlichen Erscheinen eines Gegenstands je beschäftigen werden. Sie wollen ja seine nur Funktion. Oder Sie wollen die Funktion des Repräsentativen, bei einem Auto etwa, dann kommt es Ihnen auf die äußere Oberfläche an, damit man sieht, von welcher Preishöhe das Auto sein mag und wie sehr es für Ihre gesellschaftliche Stellung ein Symbol hergibt. Schließlich wird das Ganze noch einmal ein bisschen umgekehrt, indem der Verschwindens-Akt, verbunden mit einer Möglichkeit des Wiederauffindens, eher anregt zu einer intensiven Beschäftigung mit einem Objekt, das man dann eventuell auch exakt beschreiben könnte und dadurch als Eigentümer von einem Amt – dem Fundbüro – anerkannt wird. Zu diesem Zweck der Identifikation der Objekte sagte mir Martin Breindl, dass er sich längst abgewöhnt hätte zu unterschreiben, künstlerisch, was freilich mit dem Akt zusammenhängt, von dem ich in Zusammenhang mit Marcel Duchamp sprach: jetzt ist es ein Kunstwerk, weil der Künstlername draufsteht; Breindl hat sich das abgewöhnt in Zusammenhängen mit dem Konzeptuellen. Hier hat er es dennoch nochmals wegen der Identifikationsprobleme erneuert. Hilfe für die Angestellten oder Beamten des Fundbüros. Also machen Sie die Prozession mit und probieren Sie einmal, wie es ist, mit Fundbüros umzugehen. Und ich hoffe, dass Ihnen auch der Umgang mit dem Fundbüro später weiteren Spaß machen wird. Er gehört mit zur Absicht dieser Objekte, soweit Martin Breindl im Stande war, eine Intention oder Absicht in die Objekte zu investieren. Ich danke Ihnen schön fürs Zuhören. |
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