R E Z E N S I O N
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Voll eingspannt im Radl - eine Sache des Takts ? |
Wo liegt Guntramsdorf ?
Guntramsdorf befindet sich ca. eine halbe Stunde Fahrtzeit von Wien
entfernt, man 1 erreicht es wunderbar mit der Schnellbahn in Richtung Wiener
Neustadt. Der Ort ist wohl bekannt als Heurigen- Ort. Und es lässt sich
dort mit einem weißen Spritzer tatsächlich sehr gut der Sommerdurst löschen
( für 1 Euro 40 Cent ). Während des Zweiten Weltkriegs befand sich in
Guntramsdorf ein Außenlager des KZ Mauthausen - durch eine kleine Internet-
Suche, die ich vor meinem Ausflug zur Performance ins Niederösterreichische
Industrieviertel, im Rahmen des Viertelfests 2007 tätigte, wurde ich darauf
aufmerksam. Das Motto des heurigen Niederösterreich Festivals, welches -
wohl nach dem Vorbild des Festivals der Regionen in Oberösterreich- seit
2001 existiert und dessen Programmheft "Kultur ist der Platzhirsch" mehr
als 100 Seiten umfasst, heißt "grenzen.los". Die Zielsetzung des Festivals
formuliert Landeshauptmann Erwin Pröll im Vorwort so: "Heute sind die
Viertelfestivals fixer Bestandteil am Schauplatz Niederösterreich unter der
Zielsetzung "Arbeit für viele. Wert für alle." Der Landeshauptmann wünscht
sich außerdem nicht nur von nah, sondern auch von fern herbeieilende
BesucherInnen ( mit Binnen I geschrieben, der Herr Landeshauptmann schreibt
fortschrittlich ) und diese mögen nach Niederösterreich kommen um "dem
einen oder anderen Event beizuwohnen". Der "Schauplatz" Guntramsdorf ist
also Teil des kulturellen Europa - soviel ist klar. Ich begab mich
allerdings nach Guntramsdorf nicht, weil ich den Hirschen röhren hören oder
weil ich einem "Event beiwohnen" wollte ( so etwas kann man sich außerdem
gar nicht vornehmen, bestenfalls kann man im Nachhinein vom einem Ereignis
berichten ), sondern weil Martin Breindl mir eine Einladung in die Hand
gedrückt hatte, weil die Projektbeschreibung von alien productions sehr
spannend klang und weil die Sache selbst interessant zu werden versprach -
es gab also drei gute Gründe. Was ist eine Walzengravieranstalt?
Die Walzengravieranstalt in Guntramsdorf/ Steinfeldgasse wurde im Jahr 1911
gegründet. Auf der rund 250 m² großen Fläche des Betriebes befindet sich
heute ein gleichnamiges Museum, welches seit 1989 existiert und
Wissensdurstigen ermöglicht, sich die technische Anlage des Betriebes vor
Ort anzuschauen. Darüber hinaus - so Andrea Sodomka, Produktionsleiterin
von Transmission - veranstaltet Herr Keschmann, der Leiter des Museums, ein
qualitativ hochwertiges Musik- Programm in den Räumen der
Walzengravieranstalt. Es ist ihm daran gelegen, diesen außergewöhnlichen
Ort einer Öffentlichkeit bekannt zu machen und überhaupt die Räume zu
beleben - der gemütliche Hinterhof und ein kleiner Präsentations-Raum, der
sich den ehemaligen Arbeitsräumen anschließt, bieten dazu auch hervorragend
Möglichkeiten. In dieser Walzengravieranstalt, die in ihrer Blütezeit 20
Mitarbeiter beschäftigte ( ich denke, es war ein reiner Männer- Betrieb )
wurden Walzen hergestellt, mit denen dann Firmen der Textil-, Papier-,
Metallfolien-, Kunststoff- und Glasindustrie beliefert wurden, welche diese
Walzen wiederum zum Druck der verschiedenen Materialien verwendeten. Es
handelte sich um Walzenherstellung durch Handgravur, d.h. die Beschäftigten
der Firma erarbeiteten handwerklich- künstlerisch jede einzelne Walze: das
kunstvolle Grundmotiv wurde unter der Lupe händisch auf Stahlmoletten
graviert und mechanisch/ chemisch auf bis zu 3 m lange Walzen übertragen.
Chemisch bedeutet: um die entworfenen, angefertigten Muster auf die Walzen
zu gravieren wurden auch diverse Chemikalien verwendet, mit Hilfe derer
geätzt wurde. Wer steckt hinter "alien productions"?
Norbert Math, Martin Breindl und Andrea Sodomka sind drei KünstlerInnen,
die seit Jahren gemeinsam unter dem Namen alien productions agieren und
dabei zahlreiche Kooperationen eingehen, diesmal mit Florian Prix,
ehemaligen Arbeitern der Walzengravieranstalt und dem Leiter des Museums.
Andrea Sodomka berichtete uns, dass sie, alien productions, am liebsten
Räume bespielen, die noch intakt sind. Und somit sind sie in der
Walzengravieranstalt, dem heutigen Museum natürlich genau an einer
richtigen Stelle gelandet. Sie haben ein ca. halbstündiges Ton- und
Bildstück erarbeitet, welches an zwei Abenden aufgeführt wurde. Norbert
Math sagte: Wir erzählen keine Geschichte. Und darüber ist man sehr froh -
denn das Museum spricht bereits Bände und wer würde beim Besuch einer
Gravieranstalt nicht allein schon an Franz Kafka und die Strafkolonie
denken, seine Geschichte aus dem Jahr 1914, die auch auf der "Liste
schädlichen und unerwünschten Schrifttums" stand.
Zu dritt saßen sie während der Aufführung inmitten der
Walzengraviermaschinen an ihren Computern, an den Terminals und erweckten
die alte Industrie- Anlage, das Museum zu neuem Leben. Mit den kräftigen
Klangbildern erhellten sie nicht nur eine "dunkle Vergangenheit". Alien
productions schreiben außerdem auch selbst, z.B. "anhand von
Textmaschinen". Was war da?
Es war Ton und Bild und beides mit Computern generiert, der technischen
Erfindung, die auch dafür verantwortlich ist, dass es heute so etwas wie
eine Walzengravieranstalt nicht mehr gibt, oder eben nur noch museal. Zum
Glück, muss man doch sagen: nostalgische Gefühle sind nicht wirklich
angebracht, auch wenn einzelne der ausgestellten Entwürfe der
Walzengravieranstalt- Arbeiter wunderschön sind oder wenn man sich durch
das Schwungrad im Hinterhof, das schon einen Finger breit in den Boden
eingewachsen ist, kurz im Film "Stalker" von Andrej Tarkowski wiederfindet.
Angefangen hat es ganz leise. Orangen- farbiges Licht ging an und leuchtete
an drei Stellen auf. Diese kleine Lichtinszenierung steigerte sich, bis
schließlich an der Stirnseite des Raumes und an zwei weiteren Stellen der
südlichen Fensterfront mithilfe von drei Beamern virtuelle Bilder an reelle
Wände geworfen wurden, an Wände, die alles andere als leer sind:
Schwungräder, Rahmen und allerhand Werkzeug ist im Museum zum Beschauen
ausgestellt und wird durch die Projektionen jetzt teilweise beleuchtet.
Auch Maschinen- Fragmente inmitten des Raumes werden von Lichtstrahlen
gestreift. So huschten z.B. während der ganzen Aufführung über das obere
Rund eines milchig weißen Schleifsteins bunte Lichtflecken. Das Bild des
Maschinenrads wird mehrfach digital zitiert - so ein "bewegter" Ort ist
offensichtlich ein gefundenes Fressen für die hungrigen Sinne von
performativ agierenden KünstlerInnen. Dann gab es einen Bruch im
Klanggeschehen - ich bin versucht, die Veränderung, die damit anbrach als
dramatische Steigerung zu bezeichnen - doch die eigentlichen Dramen finden
in den Erzählungen, in den Interviews statt, die alien productions mit
ehemaligen Arbeitern der Walzengravieranstalt zu ihren Lebens- und
Arbeitsbedingungen geführt und aufgezeichnet haben. An einigen
Arbeitsplätzen sind kleine gerahmte Bildschirme aufgestellt, unter den
Tischen, etwas versteckt sind Lautsprecher montiert ( die Installation
dieser Lautsprecher hätte vielleicht etwas überlegter durchgeführt werden
können - wollte man wirklich verstehen, was die Arbeiter erzählen, musste
man eigentlich vor die Tische in die Hocke gehen - dem ehemaligen Vorstand
des Vereins "Gesellschaft zur Förderung und Erforschung der
Niederösterreichischen Industriekultur" war das schon nicht mehr so leicht
möglich wie mir ). Ein Arbeiter beschreibt z.B. seine langjährige Treue zum
Arbeitsplatz und zum Betrieb mit einer für sich selbst sprechenden
Metapher: Mit der Arbeit sei es so wie mit einer Frau - ist eine Liebe da,
bleibt Mann dabei. Zwei andere Arbeiter erinnern sich gemeinsam als nun
erwachsene Männer an all den Unfug, den sie mit den Maschinen ( oder die
Maschinen mit ihnen ) getrieben haben, und da hat es einen schon mal auf
den Boden gebrackt, wenn man die Mutprobe absolviert hat, und das hat man
natürlich müssen, die Hand in die Riemen halten und auf diese Weise
versuchen, mit der Maschine mitzugehen, mit dem ganzen Körper im Takt der
Maschine zu sein. Ein Arbeiter spricht es noch deutlicher aus: Es ist wie
Musik, die Maschinen und wie man sie richtig bedienen musste, damit das
Produkt gut werden konnte.
Die KünstlerInnen bedanken sich herzlich beim Publikum für dessen
Aufmerksamkeit, bei Herrn Keschmann für das Anwerfen und Abschalten der
Transmissions-Maschine. Abschließend wird zum obligatorischen Büffet
gebeten, wo sich alle im Hinterhof, im Freien bei Wein und Knabberzeug
gerne einfinden. Es wäre jetzt möglich an die Beschreibung der Performance
mit einem Protokoll des zweiten Teils des Abends anzuknüpfen, dem
sogenannten informellen Teil, der nie fehlen darf und ja auch nie fehlt.
Aber vielleicht genügt es, anzumerken, dass es den Anwesenden bis zum
Aufbruch hauptsächlich darum ging, sich über "Arbeit" auszutauschen - die
KünstlerInnen bauten ihre Installation ab, sprachen auch hauptsächlich über
Arbeit. Und auch die anderen Anwesenden mund- werkten eifrig: da wurden
Kontakte geknüpft, es wurde berichtet, kommentiert, kritisiert,
unterbrochen, eingehakt, nachgefragt, ausgetauscht, da wurde geschimpft,
man wunderte sich ironisch darüber, welch große Investitionen manche/r im
Kultur/Kunst- Betrieb machen kann/können, es wurde über mögliche oder eher
unmögliche Pensionen spekuliert, kurz: es wurde virtuos post- fordistisch
produziert.
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1 Ich verwende in diesem Text das altmodische Wörtchen "man" und bitte darum, es geschlechtsneutral zu werten. |