R E Z E N S I O N

 

Voll eingspannt im Radl - eine Sache des Takts ?
oder: Die Fragen zum Thema Arbeit brennen !
Zur Performance "Transmission" von alien productions in der ehemaligen Walzengravieranstalt in Guntramsdorf am 23. Juni 2007
Lies Waldnaab

Wo liegt Guntramsdorf ?

Guntramsdorf befindet sich ca. eine halbe Stunde Fahrtzeit von Wien entfernt, man 1 erreicht es wunderbar mit der Schnellbahn in Richtung Wiener Neustadt. Der Ort ist wohl bekannt als Heurigen- Ort. Und es lässt sich dort mit einem weißen Spritzer tatsächlich sehr gut der Sommerdurst löschen ( für 1 Euro 40 Cent ). Während des Zweiten Weltkriegs befand sich in Guntramsdorf ein Außenlager des KZ Mauthausen - durch eine kleine Internet- Suche, die ich vor meinem Ausflug zur Performance ins Niederösterreichische Industrieviertel, im Rahmen des Viertelfests 2007 tätigte, wurde ich darauf aufmerksam. Das Motto des heurigen Niederösterreich Festivals, welches - wohl nach dem Vorbild des Festivals der Regionen in Oberösterreich- seit 2001 existiert und dessen Programmheft "Kultur ist der Platzhirsch" mehr als 100 Seiten umfasst, heißt "grenzen.los". Die Zielsetzung des Festivals formuliert Landeshauptmann Erwin Pröll im Vorwort so: "Heute sind die Viertelfestivals fixer Bestandteil am Schauplatz Niederösterreich unter der Zielsetzung "Arbeit für viele. Wert für alle." Der Landeshauptmann wünscht sich außerdem nicht nur von nah, sondern auch von fern herbeieilende BesucherInnen ( mit Binnen I geschrieben, der Herr Landeshauptmann schreibt fortschrittlich ) und diese mögen nach Niederösterreich kommen um "dem einen oder anderen Event beizuwohnen". Der "Schauplatz" Guntramsdorf ist also Teil des kulturellen Europa - soviel ist klar. Ich begab mich allerdings nach Guntramsdorf nicht, weil ich den Hirschen röhren hören oder weil ich einem "Event beiwohnen" wollte ( so etwas kann man sich außerdem gar nicht vornehmen, bestenfalls kann man im Nachhinein vom einem Ereignis berichten ), sondern weil Martin Breindl mir eine Einladung in die Hand gedrückt hatte, weil die Projektbeschreibung von alien productions sehr spannend klang und weil die Sache selbst interessant zu werden versprach - es gab also drei gute Gründe.
Von der S- Bahn- Station aus die Anningerstrasse entlang bis zur Steinfeldgasse gehend hatte ich im übrigen Zeit genug darüber zu spekulieren, welche unbewältigten Geschichten sich wohl hinter den Fassaden der Guntramsdorfer Häuser verbergen. Man kann aber auch versuchen die Minuten zu genießen, während der man die fehlende Stadt-Unruhe hört und die vorhandene Dorfluft schnuppert.

Was ist eine Walzengravieranstalt?

Die Walzengravieranstalt in Guntramsdorf/ Steinfeldgasse wurde im Jahr 1911 gegründet. Auf der rund 250 m² großen Fläche des Betriebes befindet sich heute ein gleichnamiges Museum, welches seit 1989 existiert und Wissensdurstigen ermöglicht, sich die technische Anlage des Betriebes vor Ort anzuschauen. Darüber hinaus - so Andrea Sodomka, Produktionsleiterin von Transmission - veranstaltet Herr Keschmann, der Leiter des Museums, ein qualitativ hochwertiges Musik- Programm in den Räumen der Walzengravieranstalt. Es ist ihm daran gelegen, diesen außergewöhnlichen Ort einer Öffentlichkeit bekannt zu machen und überhaupt die Räume zu beleben - der gemütliche Hinterhof und ein kleiner Präsentations-Raum, der sich den ehemaligen Arbeitsräumen anschließt, bieten dazu auch hervorragend Möglichkeiten. In dieser Walzengravieranstalt, die in ihrer Blütezeit 20 Mitarbeiter beschäftigte ( ich denke, es war ein reiner Männer- Betrieb ) wurden Walzen hergestellt, mit denen dann Firmen der Textil-, Papier-, Metallfolien-, Kunststoff- und Glasindustrie beliefert wurden, welche diese Walzen wiederum zum Druck der verschiedenen Materialien verwendeten. Es handelte sich um Walzenherstellung durch Handgravur, d.h. die Beschäftigten der Firma erarbeiteten handwerklich- künstlerisch jede einzelne Walze: das kunstvolle Grundmotiv wurde unter der Lupe händisch auf Stahlmoletten graviert und mechanisch/ chemisch auf bis zu 3 m lange Walzen übertragen. Chemisch bedeutet: um die entworfenen, angefertigten Muster auf die Walzen zu gravieren wurden auch diverse Chemikalien verwendet, mit Hilfe derer geätzt wurde.
Mechanisch bedeutet: in dem großen Arbeitsraum, in dessen Mitte eine Maschine neben der anderen ihren Platz hat und der an den Fenstern immer noch die ehemaligen Arbeitstische aufweist, befindet sich an der Decke entlang eine riesige zentrale Transmissionsanlage, die mit einer Vielzahl herabgespannter Riemen die Maschinen zur Fertigung der Walzen antrieb. Der Raum ist von oben bis unten dicht angefüllt mit einem Räder-, Riemenwerk, welches ineinander und miteinander verbunden ist. Alles bewegt und dreht sich, wenn die Maschine rennt. Und das tut sie noch immer, auf Knopfdruck! Ein schmaler Weg führt zwischen den Maschinen und den Arbeitsplätzen am Rand durch den Raum - zwei Menschen, die sich auf diesem Weg begegnen kommen kaum ohne Berührung aneinander vorbei.
www.walzengravieranstalt.at

Wer steckt hinter "alien productions"?

Norbert Math, Martin Breindl und Andrea Sodomka sind drei KünstlerInnen, die seit Jahren gemeinsam unter dem Namen alien productions agieren und dabei zahlreiche Kooperationen eingehen, diesmal mit Florian Prix, ehemaligen Arbeitern der Walzengravieranstalt und dem Leiter des Museums. Andrea Sodomka berichtete uns, dass sie, alien productions, am liebsten Räume bespielen, die noch intakt sind. Und somit sind sie in der Walzengravieranstalt, dem heutigen Museum natürlich genau an einer richtigen Stelle gelandet. Sie haben ein ca. halbstündiges Ton- und Bildstück erarbeitet, welches an zwei Abenden aufgeführt wurde. Norbert Math sagte: Wir erzählen keine Geschichte. Und darüber ist man sehr froh - denn das Museum spricht bereits Bände und wer würde beim Besuch einer Gravieranstalt nicht allein schon an Franz Kafka und die Strafkolonie denken, seine Geschichte aus dem Jahr 1914, die auch auf der "Liste schädlichen und unerwünschten Schrifttums" stand. Zu dritt saßen sie während der Aufführung inmitten der Walzengraviermaschinen an ihren Computern, an den Terminals und erweckten die alte Industrie- Anlage, das Museum zu neuem Leben. Mit den kräftigen Klangbildern erhellten sie nicht nur eine "dunkle Vergangenheit". Alien productions schreiben außerdem auch selbst, z.B. "anhand von Textmaschinen".
http://www.alien.mur.at/

Was war da?

Es war Ton und Bild und beides mit Computern generiert, der technischen Erfindung, die auch dafür verantwortlich ist, dass es heute so etwas wie eine Walzengravieranstalt nicht mehr gibt, oder eben nur noch museal. Zum Glück, muss man doch sagen: nostalgische Gefühle sind nicht wirklich angebracht, auch wenn einzelne der ausgestellten Entwürfe der Walzengravieranstalt- Arbeiter wunderschön sind oder wenn man sich durch das Schwungrad im Hinterhof, das schon einen Finger breit in den Boden eingewachsen ist, kurz im Film "Stalker" von Andrej Tarkowski wiederfindet. Angefangen hat es ganz leise. Orangen- farbiges Licht ging an und leuchtete an drei Stellen auf. Diese kleine Lichtinszenierung steigerte sich, bis schließlich an der Stirnseite des Raumes und an zwei weiteren Stellen der südlichen Fensterfront mithilfe von drei Beamern virtuelle Bilder an reelle Wände geworfen wurden, an Wände, die alles andere als leer sind: Schwungräder, Rahmen und allerhand Werkzeug ist im Museum zum Beschauen ausgestellt und wird durch die Projektionen jetzt teilweise beleuchtet. Auch Maschinen- Fragmente inmitten des Raumes werden von Lichtstrahlen gestreift. So huschten z.B. während der ganzen Aufführung über das obere Rund eines milchig weißen Schleifsteins bunte Lichtflecken. Das Bild des Maschinenrads wird mehrfach digital zitiert - so ein "bewegter" Ort ist offensichtlich ein gefundenes Fressen für die hungrigen Sinne von performativ agierenden KünstlerInnen. Dann gab es einen Bruch im Klanggeschehen - ich bin versucht, die Veränderung, die damit anbrach als dramatische Steigerung zu bezeichnen - doch die eigentlichen Dramen finden in den Erzählungen, in den Interviews statt, die alien productions mit ehemaligen Arbeitern der Walzengravieranstalt zu ihren Lebens- und Arbeitsbedingungen geführt und aufgezeichnet haben. An einigen Arbeitsplätzen sind kleine gerahmte Bildschirme aufgestellt, unter den Tischen, etwas versteckt sind Lautsprecher montiert ( die Installation dieser Lautsprecher hätte vielleicht etwas überlegter durchgeführt werden können - wollte man wirklich verstehen, was die Arbeiter erzählen, musste man eigentlich vor die Tische in die Hocke gehen - dem ehemaligen Vorstand des Vereins "Gesellschaft zur Förderung und Erforschung der Niederösterreichischen Industriekultur" war das schon nicht mehr so leicht möglich wie mir ). Ein Arbeiter beschreibt z.B. seine langjährige Treue zum Arbeitsplatz und zum Betrieb mit einer für sich selbst sprechenden Metapher: Mit der Arbeit sei es so wie mit einer Frau - ist eine Liebe da, bleibt Mann dabei. Zwei andere Arbeiter erinnern sich gemeinsam als nun erwachsene Männer an all den Unfug, den sie mit den Maschinen ( oder die Maschinen mit ihnen ) getrieben haben, und da hat es einen schon mal auf den Boden gebrackt, wenn man die Mutprobe absolviert hat, und das hat man natürlich müssen, die Hand in die Riemen halten und auf diese Weise versuchen, mit der Maschine mitzugehen, mit dem ganzen Körper im Takt der Maschine zu sein. Ein Arbeiter spricht es noch deutlicher aus: Es ist wie Musik, die Maschinen und wie man sie richtig bedienen musste, damit das Produkt gut werden konnte.
Nach dieser "dramatischen Wende" im Klangbild kommt ein visueller Part, den man vielleicht als Spiel mit Mustern bezeichnen könnte: Kaleidoskop- artige Bilder laufen in einem rasanten Tempo über die drei Projektionsflächen. Und diese Bilder sind sehr mächtig - sie schaffen es glatt das laute Museums- Inventar zu übertönen. Schließlich kommt es zu einer Art Implosion: wie von einer immensen Kraft außerhalb oder hinter den Wänden angezogen werden die Muster in einem Wahnsinns- Strudel eingesaugt. Auch eine menschliche Stimme ist wahrzunehmen. Relativ leise zwar, aber doch deutlich flüsternd. Und eine kleine Überraschung gab es auch noch: die Transmissions- Maschine wurde angeworfen und mit ihrem Maschinensound für eine geraume Zeit Teil der Performance. Das projizierte Digitalbild an der Stirnseite, Himmelsrichtung Ost, verwandelte sich gegen Ende hin assoziativer Weise in ein Rosettenfenster einer Industrie- Kathedrale. Und ich war ja einerseits froh, dass ich da einfach sitzen konnte, auf einem Stuhl - denn in Museen gibt es ja generell zu wenig Sitzplätze - neben einem ehemaligen Arbeitsplatz, an einem Fenster und dieses Schauspiel miterleben konnte, andererseits war eigentlich ab dem Betreten des Maschinenraums auch ein mulmiges Gefühl da, man riecht ja die viele Arbeit förmlich, die da getan wurde und wird, und unter welchen Bedingungen. ich schaute auch zwischendurch einfach gern mal aus dem Fenster hinaus, auf die Bäume, die sich im Wind bewegten.
Ein Arbeiter erzählt im Interview davon, dass während der Kriegszeit die Fenster mit Pappe abgedichtet gewesen wären und sie hätten bei Licht von Glühbirnen der Stärke 15 Watt arbeiten müssen - keine sehr rosige Vorstellung für mit Lupen arbeitende Augen. Sie hätten auch in ihrem Privat- Gewand arbeiten müssen - es wäre keine Rede davon gewesen, dass für die äußerst dreckige Arbeit aufgrund des ständigen Ölens der Maschinen und Aufwischens der Ätzflüssigkeiten Arbeitskleidung zur Verfügung gestellt würde. Der Betrieb sei nur dann stillgestanden, wenn es einen Betriebsausflug gab, berichtet ein Arbeiter ( das war wohl eher die Ausnahme ). Und Fehler bei der Arbeit hätten in Gratis- Überstunden wieder zurecht gebogen werden müssen. Für einige Arbeiter war die Situation des Interviewt- Werdens eine sehr ambivalente Angelegenheit - so schilderte mir Norbert Math seine Eindrücke. Den visuellen Abschluss macht eine dreidimensional erscheinende, virtuelle "Figur", drei- farbig gelb, rot und blau. Es kreiselt ein fächerartig aufgebautes Ding über die Wand, dreht sich, entfaltet sich, weitet sich aus und zieht sich wieder in sich zurück. Schließlich vervielfältigt sich das Ding und fängt an, nebeneinander reproduziert, wieder eine Art Muster an den Wänden zu bilden, Punkt für Punkt der Reihe nach aufleuchtend und schließlich aneinandergereiht. Leicht klingt es aus, das Ganze.

Die KünstlerInnen bedanken sich herzlich beim Publikum für dessen Aufmerksamkeit, bei Herrn Keschmann für das Anwerfen und Abschalten der Transmissions-Maschine. Abschließend wird zum obligatorischen Büffet gebeten, wo sich alle im Hinterhof, im Freien bei Wein und Knabberzeug gerne einfinden. Es wäre jetzt möglich an die Beschreibung der Performance mit einem Protokoll des zweiten Teils des Abends anzuknüpfen, dem sogenannten informellen Teil, der nie fehlen darf und ja auch nie fehlt. Aber vielleicht genügt es, anzumerken, dass es den Anwesenden bis zum Aufbruch hauptsächlich darum ging, sich über "Arbeit" auszutauschen - die KünstlerInnen bauten ihre Installation ab, sprachen auch hauptsächlich über Arbeit. Und auch die anderen Anwesenden mund- werkten eifrig: da wurden Kontakte geknüpft, es wurde berichtet, kommentiert, kritisiert, unterbrochen, eingehakt, nachgefragt, ausgetauscht, da wurde geschimpft, man wunderte sich ironisch darüber, welch große Investitionen manche/r im Kultur/Kunst- Betrieb machen kann/können, es wurde über mögliche oder eher unmögliche Pensionen spekuliert, kurz: es wurde virtuos post- fordistisch produziert.
Ich denke sicherlich auch europäisch, wenn ich meine, dass da eine gemischte Wahrheits-Prozedur stattgefunden hat. Dass die Performance/Installation unter dem Titel einer "unglaublich kulturellen Vielfalt unserer Heimat" (so denkt der werbende Landeshauptmann) subsumiert wird, unter dieser -Kullduhr-, in der man sich ganz schnell ziemlich unbehaglich fühlen kann ist eine Seite. Wieso trägt der Kellner beim Heurigen z.B. eine volks- dümmlich bestickte, kitschige Lederhose ? ( Am End war es sogar eine Hirsch- Lederne! ) Das hat aber mit der Arbeit von alien productions an und für sich eher weniger zu tun. Sie hatten freie Hand in der Umsetzung ihrer Ideen. Die finanziellen Umstände von Projekten sind "naturgemäß" meist problematisch - ganz zu schweigen von den Problemen, die sich ergeben, wenn man sich nicht subsumieren lassen möchte. Wirklich unbehaglich fühlt man sich dann rund um die Badner Bahn, beim Warten auf sie und in ihr drin, wenn man den Nachhause- Weg antritt, im öffentlichen Verkehren. Aber das ist eine andere Geschichte. Ich freu mich auf den "Gedankenfotoapparat", den "die aliens" in Zukunft entwickeln wollen.

 

  Lies Waldnaab
Master of Breadless Arts ( MBA )
Ökosophin in Ausbildung und Aufmerksamkeitskünstlerin


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  1 Ich verwende in diesem Text das altmodische Wörtchen "man" und bitte darum, es geschlechtsneutral zu werten.

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