WORTSTAUB PARTIKELWELT

generative Performance mit einer Textmaschine

von alien productions / Martin Breindl, August 2000


Teil 2 / Recodierung

"It was presumed in medical science, under the strong influence of Cartesian thought, that the gut, like the rest of the body, was a kind of meat puppet, a slave of the master brain. It transpires that the gut has over 100 million neurons (more than the spinal chord). The entire intestine is sheathed in two concentric sleeves of neural tisue, isolated with an equivalent to the blood/brain barrier. Just exactly what the gut is thinking we don't know, but I'm willing to wager that if you wired up the gut to a PET scan machine, you'd find that the gut partook in consciousness. I believe that consciousness is physiologically a distributed bodily thing. If this is the case, than the basic premise of Cognitivism, that the brain, consciousness, etc. can be understood using the analogy of a computer, is flawed."

Simon Penny: Artistic Practice, Body Knowledge and the Engineering World View;
in: Memesis, The Future of Evolution; Ars Electronica 96; Wien, New York: Springer Verlag, 1996

In Situationen, in denen das Publikum nicht direkt in die Feedbackschleife eingebunden werden kann – also in jeder mediatisierten Umgebung – müssen andere Möglichkeiten gefunden werden, den sich permanent verändernden Wahrnehmungszustand, aus dem diese Arbeiten entstehen, transparent zu machen. Es bedarf der Rolle eines Mediators, also eines Vermittlers, der anstelle des Publikums die Situation gewissermassen erlebt und diese auf es überträgt. Nicht die Synthese (wie bei den Installationen) sondern die Re-Synthese wird entscheidend.

Da die Sitaution primär ein körperliches Erleben ist, muss ein "virtueller Körper" geschaffen werden, strukturell angepasst an die ästhetischen Möglichkeiten jener Medien, die gerade den Schauplatz des Geschehens bilden. Abhängig von der Medienumgebung können entweder reale oder virtuelle Personen diesen Körper schaffen.

Bei Reflexion von Andrea Sodomka (Radiokulturhaus Wien, 2000), einer Komposition mit Biofeedback und 12köpfigem Ensemble (die reihe), war die Medienumgebung eine klassische Konzertsituation. Die Komponistin/Dirigentin war über eine komplexe Sensorik mit den MusikerInnen vernetzt. Displays auf den Notenpulten zeigten die Veränderungen im körperlichen Zustand der Dirigentin und wurden so zu Spielanweisungen für das Ensemble. Dieses wählte – abhängig von diesen Anweisungen - aus einem "klassisch" notierten freien Formenkatalog aus und interpretierte das Geschehen mit konventionellen Instrumenten (Abb. 6).

Dirigentin, Ensemble und Umgebungssituation bildeten hier den "virtuellen Körper", der das Geschehen für das Publikum erlebbar machte. Weder die Interpretation des Ensembles noch die Reaktion der Dirigentin auf die Interpretation waren die zentralen Motive, sondern der ureigene "Flow" eines Gesamtorganismus, der wiederum nicht auf Einzelnes, sondern auf der Mediensituation im momentanen Zustand basierte.

Die zweite Möglichkeit eines "virtuellen Körpers" wurde bei Wortstaub Partikelwelt. Brainwaveversion von alien productions (ORF Kunstradio, 1999) verwendet. Dies war eine radiophone Version der gleichnamigen Biofeedbackinstallation.

Die Medienumgebung Radio ist kein Feedbackmedium. Dort wo in den Installationen die wahrnehmbaren Ereignisse erst aus der Interaktion zwischen den sich andauernd verändernden menschlichen Bio-Daten und Echtzeitprozessoren entstehen, bleiben dem Broadcastmedium Radio nur - von HörerInnen unbeeinflussbare - akustische Ereignisse.

So wurde als weitere Spur der Transformation neben der Radiokomposition als eigene Spur ein "virtueller Körper" entworfen. Der Körper simulierte einen typischen Biofeedbacksitzungsverlauf mit seinen Konzentrations- und Entspannungsphasen. Dieser Verlauf wurde mittels eines "Brainwave Synchronizers" recodiert und als dritte Spur der Radioübertragung aufmoduliert, die man empfangen konnte, indem man die Sendung mit Kopfhörern hörte. Sie entstand durch Stimulation des Gehirns, die, je nach der Art der Modulation, vier verschiedene Zustände zwischen Aufmerksamkeit und Entspannung hervorrufen konnte. Diese Stimulation wurde durch spezielle Laufzeitverzögerungen der beiden Stereospuren erzeugt (Abb.7).

 

Egal in welcher Situation – wir müssen uns klar werden, dass das, was wir so gerne als Material bezeichnen im Verschwinden begriffen ist. Nicht dass es nicht da wäre: gespeichert allemal, als Universalcode, menschlicher Wahrnehmung entzogen, Maschinensprache – decodiert. Erlebbar, ob direkt oder mediatisiert, ist einzig und allein die Recodierung des Materials – nicht als abgeschlossenes Werk sondern als Situation, als Shifting Reality, die Spuren hinterlässt in dem Speicher, den wir nicht so ganz richtig Erinnerung nennen.

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Mehr zu den Biofeedbackarbeiten von alien productions: AUTOREGULATIVE SPACES

Bildnachweis:
alien productions: Abb. 1, 7
Martin Breindl: Abb. 4, 5
Heinz Cibulka: Abb. 6
Andrea Sodomka: Abb. 2, 3

Sämtliche Biofeedbackarbeiten wurden realisiert mit freundlicher Unterstützung von INSIGHT INSTRUMENTS, Wien
"Reflexion" war eine Auftragskomposition von Jeunesse Musicale und ORF
"Wortstaub Partikelwelt. Brainwaveversion" wurde von ORF Kunstradio produziert


Dieser Text wurde publiziert in: Decodierung - Recodierung (Deterriorialisierung - Deterriorialisierung): ein Lesebuch; Hg.: Toni Kleinlercher. - Wien: Triton, 2000