[ polski | pdf 1 mb ]

Werner Fenz, Ready Mades im Einsatz

alien productions in ihrer Transmitter-Rolle


Da die Kunstszene in einem kleinen Land wie Österreich trotz nicht selten widriger Umstände erstaunlich dicht und vielfältig ist, erzeugen als deutliches Profil ausgelegte Spuren besondere Aufmerksamkeit. Sie gründet in erster Linie darauf, dass den aus dem großen Bauch des Kunstmarkts angeregten Mechanismen Handlungen und Haltungen entgegengesetzt werden, weil das Arbeitsfeld Kunst nicht auf ein einziges ökonomisch fruchtbares Grundstück festzulegen ist. Die wesentlichen und entscheidenden Gründe für den „Seitenwechsel“ liegen jedoch wie bei der in Wien beheimateten Produzentengruppe alien productions in der Überzeugung, dass Kunst, wenn sie als präzises Zeitdiagramm erfahren werden soll, nicht zwingend Objekthaftes, Handelbares, (Aus)Tauschbares für den Kunstraum herstellen muss. Das heißt, dass auf der einen Seite der kommerzielle sowie der auratische Präsentationsort, auf der anderen Seite zwingende Überlegungen stehen, das Kunst-Kunst-System durch ein Realität-Kunst-System zu ersetzen. Seit ihrer Gründung vor zehn Jahren arbeiten alien productions daran, was allerdings nicht ausschließt, dass für Martin Breindl, Andrea Sodomka, Norbert Math und Mitarbeiter nicht auch schon zuvor – zum Beispiel im Medien-Kommunikationsprojekt State of Transition, Graz 1994, in den Biofeedbackinstallationen (seit 1993) als Interface zwischen Mensch, Maschine und Raum – der aktuelle Zustand der Gesellschaft, das Erweiterungspotenzial elektronischer und telematischer Wirklichkeiten der ins Zentrum gerückte Erfahrungs- und Projektionsraum von Interesse gewesen sind. Verfolgt man die unter diesen Prämissen bisher hinterlassenen Spuren, dann werden neben den konkreten Ergebnissen zugleich die Chancen und einige überzeugende Begründungen für zumeist erkenntnisorientierte Handlungen im künstlerischen Raum evident. Verstärkt wird damit auch die These, dass sich die Perspektiven der Kunst, von der Erfindung der Zentralperspektive über das Schwarze Quadrat auf weißem Grund bis hin zum binären Code und dessen Durchschaltung ins World Wide Web sowie zur Einbeziehung der neuesten Steuerungselemente – erweiterten Wortsinn – immer wieder veränderten. Im gesellschaftlichen Kontext wird die Akzeptanz dieser radikalen Entwicklungsschritte freilich nur dann zu Buche schlagen, wenn Kunst als eigenständiges Protokoll der Zeit gelesen werden will.

Anhand einiger weniger Beispiele, deren Auswahl für entsprechend anschaulich gehalten wird, kann in diesem begrenzten Rahmen ein Einblick in die Arbeitsweise und damit in die künstlerischen Strategien von alien productions gelingen.

Die 1997 in Graz im Rahmen der Ausstellung 2000-3. ArtSpace plus Interface veröffentlichte Arbeit mit dem Titel Embedded Systems steht als Paradigma mit konzentrierten, mehr oder weniger verbindlichen Charaktereigenschaften am Beginn. Bei der Installation handelte es sich um ein in der Zukunft mit Folgewirkungen unterschiedlicher Art verbundenes komplexes Netzwerk aus technologisch geprägten Alltagsrealitäten in Objektform, aus dem interaktiven Web-Raum, aus der Kapazität von Programmiersprachen und deren einerseits räumlich erfahrbaren, andererseits von den Steuerungselementen aus betrachtet ausgelagerten Raumsituation her. Konzentriert wurde dieses ineinandergreifende, von unterschiedlichen Vektoren bestimmte neue Raumsystem auf die Intelligenz trivialer Alltagsgegenstände, die wir täglich, vor allem im Haushalt, verwenden. Ursprünglich für eine zugängliche Wohnung geplant, wurde die Installation letztlich im Innenstadt-Kaufhaus Kastner + Öhler verwirklicht. Der Ortswechsel führte nur graduell zu einer Verschiebung des Konzepts. War zuerst das Ambiente des Gebrauchs als ortsspezifisches Charakteristikum von Bedeutung, so konzentrierte sich in Folge der Schwerpunkt auf den Handelsort dieser Objekte. Eine Nähmaschine, ein Küchenblock mit den üblichen Gerätschaften, Licht- und Tonanlagen wurden über die eingebauten Chips neu programmiert. Das Team ging von der Tatsache aus, dass die in den Chips angelegte Intelligenz in der tatsächlich ausgeführten Tätigkeit bei weitem nicht voll ausgereizt ist. Die neue, weitaus umfangreicher einsetzbare Programmiersprache Java sollte Abhilfe verschaffen. alien productions hat zwei unterschiedliche Setups aufgebaut: Einmal die erweiterte Programmierung der Geräte, die sie aus ihrem standardisierten Gebrauch befreit, ihnen neue ungewöhnliche Funktionen zuordnet und sie auf ihrer Intelligenzebene, der elektronischen, untereinander vernetzt. Zum anderen die Übertragung dieses symphonisch entwickelten Steuerungssystems ins Internet, wo ein Eingriff in die einmal festgelegte Partitur möglich war. Die Betrachtung der Installation war demnach in zwei Raumbereiche aufgesplittert worden: in den einen am Ausstellungsort selbst und in den anderen im Internet, also in einen realen, vor Ort einsehbaren, aber nicht steuerbaren, und in einen virtuellen, nicht einsehbaren, aber interaktiv gestaltbaren Bereich. Embedded Systems stellte sich als eine Realfiktion heraus, die eine Netzwerksituation inszeniert, in der viele Einzelintelligenzen kommunikativ interagieren. Der Internet-User ist dabei keine über-, sondern eine gleichgeordnete Intelligenz. Er bewirkt in etwa gleich viel, wie die Waschmaschine oder der TV-Apparat. Er befindet sich in eben dieser Realität. Ganz im Gegensatz zum Besucher der realen Installation, der dieser Realität nur ausgesetzt ist. Obwohl physisch präsent, ist er der einzige, der außerhalb der kommunikativen Möglichkeiten bleibt und somit außerhalb der Wirklichkeit. Nicht Zugriff zu haben auf das Informations- und Datennetz bedeutet, von der Realität ausgeschlossen zu sein. Man kann Vorgänge zwar beobachten, diese aber nicht beeinflussen. In der ständig umfangreicher und vielschichtiger mediatisierten Welt stellt der Zugang zu Informationsstrukturen und Nachrichtenübermittlungen den entscheidenden Faktor des Raumerlebnisses und der Partizipation an der Formatierung unserer heutigen Räume dar. alien productions hat solche Formatierungen in einem lustvollen und spektakulären Spiel aufgezeigt. Ihre Nachrichten sind Nachrichten über Systeme, die im angewandten Modus ihr Alltagsgesicht zeigen (können). Die praktischen Erfindungen, die in Versandhauskatalogen als Erleichterung der Organisation des täglichen Lebens angepriesen werden und im wesentlichen auf geschickter „erfinderischer“ Ausnutzung des enormen elektronischen und digitalen Potentials basieren, bildeten einen aus der Praxis gegriffenen Auslösefaktor. Von ihm ausgehend wurde die partizipatorische Ebene des Nutzers reflektiert und in eine System-zu-System-Beziehung eingeloggt. Eine systemische Bewusstmachung stellte sich im gewählten Übertragungsmodus ein. Im vor Ort verwehrten Zugriff auf die Funktionalität der Objekte spielte das Team, wie man vorschnell meinen könnte, weder die Rolle des Zauberlehrlings, der im Steuerungssystem alle Register gezogen und nun die Bescherung, die er angerichtet hatte, präsentierte, noch schlüpfte es in die Gestalt eines Science-Fiction-Autors, der die drohende und nicht mehr beherrschbare Übermacht der Mikrowelle oder des Staubsaugers über das Menschengeschlecht ausformuliert. Die Verselbständigung der Gebrauchsgegenstände, ihr Aus-der-Rolle-Fallen entpuppte sich als Schauspiel in Parabelform. Der Seitenwechsel von einem Raum zum anderen und die Frage nach der wo und wie konfigurierten Schaltstelle bildete ein Interface zwischen Mensch und Maschine aus. Nicht im Sinne mit dem Human Interface verknüpfter, möglicher trivialer Horrorvisionen, sondern auf der Ebene der Parität von Intelligenzen und der Verlagerung von Erfahrungen. In den unterschiedlichen Räumen konnten einerseits die Steuerungssysteme beeinflusst, andererseits deren Ergebnisse beobachtet werden. Ein Zugriff zum Kern ist heute - wie auch an dieser Arbeit gezeigt wird - nur durch die Orientierung innerhalb der „Zentrale“ möglich. Die visuell und akustisch erfahrbaren Handlungen bedeuten trotz der sinnlichen Komponente vor Ort einen Wahrnehmungsverlust der eigentlichen Wirklichkeit, die sich in Form von Entscheidungen in den elektronischen und telematischen Raum verlagert hat.

Der ausführliche Kommentar zu dieser einen Arbeit – so die These – soll auf das Profil der nachfolgenden, eher nur mit kürzeren Anmerkungen versehenen Projekte, scharf stellen. Auf der Basis von Embedded Systems fand bis in die unmittelbare Gegenwart hinein eine große Anzahl von Veranstaltungen an den unterschiedlichsten Orten, darunter Poznan (PL) oder Durham, Ontario (CDN) statt. Neben den Umformungen der Küchengeräte-Geräusche und den daraus abgeleiteten Kompositionen – die Musik von alien productions bedürfte dringend eines eigenen Kommentars – standen auch Kochperformances auf dem Programm. Als besonders wesentlich erscheint dabei eine Tatsache: Die Bewohner der einzelnen Städte, beginnend mit Judenburg (ST), 2001, wurden aufgefordert, den Künstlern Fotos ihrer Küchen zur Verfügung zu stellen, die dann über Projektionen in ein Bühnenbild für die Aufführungen transformiert wurden. Mit diesem Bezug von öffentlich und privat, mit diesem Aufbrechen der Grenzen zwischen Stadt- und Wohnraum leitet die komplexe technische Anordnung, die state of the art der Wissenschaft ist, als Raumkörper in den Gesellschaftskörper über. Auf der Basis der Struktur, die eine Community mit einbezieht, erweitert sich der Einweg-Kanal des Beobachtens: Die Beobachter (der Veranstaltung) liefern Material zum Beobachten (Abbilder ihrer privaten Küchen). Aus dieser Praxis und dem ihr zugrunde gelegten Konzept lassen sich über den unmittelbaren Anlass hinaus wichtige Schlüsse ziehen. Immer wieder und immer wieder von neuem beziehen alien productions die eingesetzte technische Größe auf die menschliche. Das gilt unter anderem auch für Alien City, eine virtuelle Stadt, aus den Elementen vieler Städte dieser Welt zusammengebaut. Hier werden Vergangenheit und Gegenwart, Realität und Fiktion, Bild und Ton zu einem Hybrid vereinigt. Diese Kompilation repräsentiert weniger die vielseitigen technischen Begabungen des Gestaltungsteams als vielmehr den Zustand gegenwärtiger Wirklichkeit: Nur in der gesteigerten Aufnahmefähigkeit von Bildern und Tönen und deren Ortung, nur in der Zuordnung der einzelnen Teile zueinander kann sich ein in mehrere hundert Teile segmentiertes Weltbild einigermaßen zu einem Gesamten fügen. Aufgrund dieses aus eigener wacher Beobachtungsgabe und wissenschaftlich gestützter Erfahrung erstellten Befunds entstehen die erwähnten Netzwerke und die zahlreichen Beispiele des Brückenschlags zwischen den einzelnen aktiv bearbeiteten Disziplinen und dem permanenten Anliegen, diese in einen möglichst offenen Rezeptionsraum überzuführen. Ein wesentlicher Fixpunkt in der Ausdehnung des Informationsforums liegt in der als öffentlichen Raum regelmäßig genutzten Sendeschiene ORF Kunstradio, die den Künstlern und der Künstlerin zudem die Möglichkeit bietet, einen komplexen Sachverhalt abermals zu transformieren und damit weiter, wenn nicht gar neu, zu gestalten – diesmal ausschließlich auf der akustischen Ebene.

Mit dem Einbetten historischer Ebenen in die Plattform der Gegenwart erweitern alien productions ihren Aktionsraum im öffentlichen oder halböffentlichen Bereich. Es handelt sich dabei in erster Linie um Industrieanlagen, die trotz ihres hohen technischen Standards in den meisten Fällen aus Profitgründen still gelegt wurden. Vielfach inspirieren die komplizierten Antriebslösungen und die dabei ausgelösten Geräusche die MusikerInnen zu ihrem Einstieg in die Vergangenheit. Nach der Auseinandersetzung mit der geschlossenen Teppichfabrik in Krems-Stein (NÖ), 2003, wird aktuell mit Performances im Museum Walzengravieranstalt Guntramsdorf (NÖ), die seit 1986 still steht, zugleich das technische wie das soziale Umfeld zur „Sprache“ gebracht. Nachdem die alte Anlage für diesen Anlass noch einmal in Betrieb genommen wurde, setzt der elektronische Bearbeitungsvorgang längst verklungener „Arbeitsmelodien“ ein. Nicht nur ein umfangreiches technisches Equipment wird untereinander vernetzt, auch und insbesondere Berichte ehemaliger Werktätiger an diesen ihren Arbeitsplätzen lassen ein Kaleidoskop österreichischer Industriegeschichte entstehen, ein durch In-Gang-Setzen der damals modernsten Maschinen ausgelöster Rückblick, bei dem die musealisierte Technik dennoch als insgesamt stummer Zeuge über die zerstörten Karrieren der Beschäftigten Sieger bleibt.

Im Herbst 2007 wenden sich alien productions auf einer spezifischen inhaltlichen Ebene der Geschichte zu. In diesem Fall ist sie Inspirationsquelle für eine mehrteilige Installation im Grazer Künstlerhaus. Von der Ausgangslage wird ein besonderer Zweig der praktizierten künstlerische Methoden in einer völlig neuen Konfiguration fortgesetzt. Gemeint ist damit der Rekurs auf Utopien, Visionen und Erfindungen, die beispielsweise zu den Arbeiten Die Bühne ist leer, 1996 (F. Kieslers kinetische Theatervisionen), Die Differenzmaschine, 1996 (Ch. Babbages Rechenmaschinen) oder Arbeitsmuster, 2003 (J-M. Jacquards lochkartengesteuerter Webstuhl) geführt haben. Im Mittelpunkt der jüngsten Anordnung steht die kurz vor 1900 entwickelte Idee von Nikola Tesla, einen Gedankenfotoapparat zu entwickeln – alien productions werden den Gedankenprojektor bauen. Wieder liegt, wie so oft, der Ausgangspunkt in der gegenwärtigen politischen Praxis; diesmal in den vermehrten Anstrengungen, den gläsernen Menschen zu perfektionieren. Wenn dieser auch Videoüberwacht, wenn die Nummern seiner ein- und ausgehenden Handy-Gespräche aufgezeichnet werden – seine Gedanken sind (noch) frei. So werden im Konzept der in Entwicklung stehenden Installation Überwachungs- und Monitoring-Situationen transferiert und ins Netz „ausgelagert“. In diesem Zusammenhang versteht es sich von selbst, dass die Ausstellungsbesucher, die Internetuser als handelnde Personen auftreten müssen, um die zahlreichen Apparaturen bzw. Reflexionen über das durch die Geräte Hervorgebrachte in Funktion zu setzen. Konsequent und radikal führt das eingerichtete Ensemble eine Situation herbei, bei der nicht nur die Grenze des White Cube gesprengt, sondern auch die Anonymität des am Augenspiegel aktiven Publikums im Künstlerhaus durch die Übertragung der Bilder der Retina und der durch sie ausgelösten „abgebildeten“ Gedanken ins Internet potenziell aufgehoben wird. Mit anderen Worten: Selbst im räumlich geschützten, nicht selten auch inhaltlich gegenüber dem Außen autonom gehaltenen Kunstraum – eine Situation, die bekanntlich in einer endlosen Liste von Theorien, pro und contra codiert, aufscheint – kann der Mensch von einer weit größeren Menge als jener, die sich möglicherweise an Ort und Stelle befindet, „eingesehen“ werden. Durch die genaue Verfolgung der künstlerischen Praxis von alien productions versteht es sich nahezu von selbst, dass die Soundscape vom Raum bzw. von den Anwesenheiten im Raum gesteuert wird. Dies deshalb, weil sich möglichst alles mit allem verbinden soll, da die von der Gruppe vertretene Kunst nicht formalen, nicht gestalterischen Aspekten allein genügen will. Und dennoch spielt die Gestalt eine zentrale Rolle: Viele zeitgeschichtliche, viele aktuelle Phänomene treten in Gestalt von… auf, also weder als Symbol noch als indexikalisches Zeichen. Ob es sich um Verknüpfung von Schaltungen, ob es sich um den speziellen Einsatz einer Programmiersprache handelt oder ob technische Geräte, nicht verwirklichte Erfindungen als umgesetzte Zukunftsprojektionen vor uns auftauchen, wir sind im Gegensatz zu zahlreichen „Medien“-Projekten, die ebenfalls ihren Anspruch an die Kunst aus dem notwendigen Zeitprofil ableiten, im Lauf der Entwicklung von alien productions mehr und mehr mit „Ready Mades im Einsatz“ konfrontiert:

Küchengeräte, stillgelegte Maschinen oder wissenschaftliche Apparaturen treten in Gestalt von Transmittern im dicht gewobenen Netz der Informationsgesellschaft auf.

Werner Fenz, Juni 2007


Dieser Text erschien erstmals in polnischer Übersetzung in Artluk, Heft 4 (6) 2007; Warszawa, PL, 2007

| theory index |