Liesl Ujvarys Musik

Vortrag, gehalten am 12. 3. 2004 im literarischen quartier alte schmiede, Wien
anlässlich des "Literarischen Portraits: Liesl Ujvary" | von Martin Breindl

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  1. Rezepturen
  2. Das Material
  3. Die Synthese
  4. Der Rhythmus
  5. Die Welthaltigkeit - Die Sprache
  6. Kontrollierte Spiele

Das Material

Man kann prinzipiell auf zweierlei Arten Musik erzeugen. Die eine Art wäre, dass man sich hinsetzt und sich etwas vorstellt – ein Klangereignis etwa. Dann bleibt man sitzen und versucht vermittels eines relativ simplen Codes diese Vorstellungen festzuschreiben. Gemeinhin passiert das mit sogenannten Noten auf sogenannten Notenlinien (wiewohl es auch komplexere Codes gibt – aber das ist ein anderes Thema) und das nennt man dann meist "komponieren".

Der Code dient wiederum dazu, von anderen (in manchen Fällen auch von einer/m selbst) gelesen und neuerlich in ein Klangereignis übersetzt zu werden, was dann auch mit Hilfe verschiedenster Klangerzeuger geschieht (menschlicher Stimme, Violine, Schlagzeug, Sakuhachi, Schiffssirene, Automotor, Synthesizer und auch Computer, um nur einige zu nennen).

Des öfteren – vor allem im Jazz und in der improvisierten Musik – entfällt auch der Vorgang des Aufschreibens und die KomponistIn setzt ihre Klangvorstellung sozusagen in Echtzeit in konkreten Klang um; bei den guten MusikerInnen ist nicht einmal mehr das Bewusstsein daran beteiligt, hat man festgestellt, sondern der Reiz-Reaktionsmechanismus funktioniert quasi über einen Kurzschluss im Rückenmark.

Nichtsdestotrotz ändert das am Wesen dieser ersten Art, Musik zu erzeugen, nichts. Die Basis für diese Verfahrensweise ist, dass die KünstlerIn einen abstrakten Entwurf ihres Tuns vor Augen hat und diesen Entwurf (ob codiert oder uncodiert, vermittelt oder unvermittelt, durch sich selbst oder andere, bewusst oder unbewusst) in die Welt hineinmaterialisiert. KünstlerInnen als Createure. Als SchöpferInnen von Einmaligkeiten – und es sind tatsächlich Einmaligkeiten, nie gehört und gesehen, und bei der tausendsten Aufführung immer noch anders.

Die zweite Art möchte ich im Gegensatz zum "Komponieren" (unscharf) als "Operieren" bezeichnen. Der Unterschied besteht darin, dass man nicht von abstrakten Vorstellungen, die man über diverse Codes materialisiert, ausgeht, sondern im Gegenteil von konkreten Welterfahrungen. Dies tut man gemeinhin mit diversen Tonaufzeichnungsapparaturen. Man hält sozusagen der Welt ein Mikrophon vor die Nase.

So sammelt man also Material. Wobei diese Materialien nicht, wie man fälschlicherweise annehmen könnte, konkrete Abbilder der tatsächlichen Welt sind (also uninformiert), sondern quasi Abbilder der Vorstellung des Operators (in dem Fall: der Künstlerin) von der durch einen Apparat vorhandenen Möglichkeit von Welt. Dies klingt kompliziert, ist aber relativ einfach: nicht die sogenannte tatsächliche Welt ist als Material vorhanden, sondern eine (oder mehrere) Möglichkeitsformen der Welt, wie sie durch das hybride Zusammenspiel von Objekt, Operator und Apparatur entstehen. |3|

Diese mediatisierten Materialien nun sind nichts anderes als durch eine Apparatur aus der Natur gerissene Objekte – solcherart also mit hochgradiger Information aufgeladene Artefakte. "Welthaltig" sind sie in dem Sinn, dass sie zu Information über eben diese geworden sind – also schlicht die Welt bereits verändert haben. Wie in der Quantenmechanik hat das Vorhandensein der BeobachterIn die Versuchsanordnung beeinflusst.

Liesl Ujvarys Methode ist nicht so eindeutig festlegbar (Es wäre ja nicht Liesl Ujvary, wenn sie unsere Erwartungshaltungen nicht ständig relativieren würde). Während sie in ihren CD-Produktionen "Sex und Tod und Klangeffekte" (1995), "Heavy Tools" (2002), und "7 Artefakte" (2003) eher nach der zweiten Methode vorgeht (wobei die menschliche Stimme eine wesentliche Rolle spielt), verzichtet sie in "Die Sprache der Gene" (1997) und "Softworlds" (1999) auf Real-Aufnahmen und bedient sich allein des Klangspektrums, das die virtuelle Maschine (sprich der Computer) ermöglicht. Historisch gesehen sind die erstgenannten CDs eher der Tradition der "Musique Concrète" zuzuordnen, während letztgenannte eher der Methodik der "seriellen Computermusik" unterworfen scheinen. Aber wer weiss? Eigentlich haben sich in den letzten Jahren in der virtuellen Maschine diese Grenzen, die vordem so unvereinbar schienen, aufgelöst:

Prinzipiell ist es möglich geworden, aus jedem nur denkbaren Klang jeden nur denkbaren anderen Klang zu bauen. Die erkennbaren Grenzen zwischen sogenannter "Realität" und sogenannter "Virtualität" sind durchlässig geworden, bzw. ganz verschwunden. Betrachtet man noch dazu die Aufzeichnung der sogenannten "Realität" in oben gesagtem Sinn (also als "Information"), wird die Unterscheidung ohnehin obsolet und entlarvt sich als künstlich hochgehaltene Grenze.

(Liesl Ujvary würde vielleicht lächelnd sagen, dass der Welt mit abstrakten Erkenntnismodellen doch nicht so beizukommen wäre, dass die Welt einfach dreckiger und verrauschter sei |4|. Und das könnte sozusagen noch ein Rest sein, das Samples konkreter Aufnahmen von rein synthetisch erzeugten unterscheidet. Eine Ahnung sozusagen. Eine Unschärfe.)

¦ weiter zu 3. Die Synthese ¦


3 |   "Diese Lage ist tatsächlich anthropomorph, weil ja Menschen (Operatoren) in den Apparaten funktionieren, und sie ist tatsächlich mythisch (im Sinne von übermenschlich), weil die in den Apparaten funktionierenden Operatoren nicht mehr im herkömmlichen Sinn als Menschen angesehen werden können.", Vilém Flusser, "Kommunikologie", Frankfurt/Main, Fischer,1998

4 |   "Die reinlichen Trennungen, die in der mathematischen Logik möglich und notwendig sind, lassen sich in der Welt bzw. der Sprache nicht vornehmen. Hier ist alles viel schmutziger, noisiger, verrauschter.", Liesl Ujvary, "Wildcards, Wiener Vorlesungen zur Literatur", vgl.: http://ujvary.adm.at/wildcard.html