Liesl Ujvarys Musik Vortrag, gehalten am 12. 3. 2004 im literarischen quartier alte schmiede, Wien |
Die Synthese Nun liegt also das Material so herum |5| liegt als Information vor, vorderhand egal, ob es sich eben um sogenanntes konkretes Material oder um sogenanntes Potential einer virtuellen Maschine handelt. Nun beginnen weitere Operationen, mit denen man diese Information bearbeitet / strukturiert / prozessiert. Exkurs 1: die Informationstheorie: Um zu einem Verständnis für diese Operationen in einfachstem Sinne zu gelangen, müssen wir zunächst einige recht simple Begrifflichkeiten definieren und begeben uns dafür in den Bereich der Informationstheorie. Und hier wiederum interessiert uns vorerst bloss, was es denn nun eigentlich mit diesen beiden Begriffen "Information" und "Redundanz" auf sich hat. Informationstheoretisch gesehen, besteht jede Botschaft aus diesen beiden Elementen, wobei vereinfacht gesagt als "Information" der Anteil an Neuem, Unbekanntem bezeichnet wird, während "Redundanz" die Wiederholung von bereits Bekanntem darstellt. Zwei Beispiele können dies illustrieren:
Abraham A. Moles hat in seinem Buch "Informationstheorie" |6| darauf hingewiesen, dass Verständigung über etwas vermittels Codes egal ob diese jetzt visuelle, akustische oder schriftliche wären nur dann möglich ist, wenn das Verhältnis zwischen Information (also dem Auftreten von Neuem) und Redundanz (dem Wiederholen von bereits Bekanntem) in richtigem Verhältnis zueinander steht. Vereinfacht kann gesagt werden, dass je höher der Informationsgehalt einer Botschaft ist, desto schwieriger es für die EmpfängerIn der Botschaft wird, diese auch zu verstehen. Umgekehrt gilt: erhöht sich der Anteil der Redundanz ins Unermessliche, wird die Botschaft zwar leicht verständlich, jedoch uninteressant und von der EmpfängerIn meist weggeblendet. Exkurs 2: die "allgemeinen Lautgesetze": Roman Jakobson hat sich in seiner 1944 erschienenen Schrift "Kindersprache, Aphasie und allgemeine Lautgesetze" |7| mit den phonematischen Differenziationsprozessen auseinandergesetzt, die unsere Sprachentstehung ab dem frühesten Kindesalter einrichten und gestalten. Liesl Ujvary hat sich eingehend mit dieser Schrift beschäftigt |8| und sie darüberhinaus zum ausschliesslichen Kompositionsprinzip für "Softworlds, analoge Klangsynthese und allgemeine Lautgesetze" (1999) gemacht. Ich möchte nun kurz die ersten Phasen der kindlichen Sprachdifferenzierung unter informationstheoretischen Gesichtspunkten betrachten:
Liesl Ujvary macht nun in ihrem musikalischen Prozessieren etwas ganz ähnliches: sie strukturiert das vorhandene Breitband-Informationsspektrum. In einer Hinsicht geschieht das durch "Filtern". Filter sind ja im Grunde nichts anderes als Gates (Türen), die man quasi zumacht, um Informationsanteile auszusperren. Das können entweder technische Filter sein, die sich auf einem Mischpult befinden (oder im Computer), oder analoge (sprich menschliche) Selektionsprozesse. Im Grunde ist das unwesentlich. Es geht einfach ums Weglassen. (Und Ujvary ist ja in dieser Phase bereits mit ihrer Maschine zusammengewachsen, wo man nicht mehr von einer eindeutigen Trennlinie sprechen kann: Sie ist im Donna Harawayschen Sinn in dieser Phase zur Cyborg geworden. |9|) Das jetzt schon im Raffinierungsprozess befindliche Material ist jedoch auch zusätzlich nicht etwas Starres, Fixiertes, sondern eben weil es mediatisiert ist und nicht mehr den Gesetzen unserer "Alltagserfahrung" unterworfen etwas Flexibles und Veränderbares. Die Klang-Objekte haben nicht bloss eine Geschichte, eine Form, sondern alle Geschichten, alle Formen, die möglich sind. Hier schliesst sich der Kreis zur Quantenmechanik: Ujvary kann die Objekte zu allen nur möglichen Erscheinungsformen dehnen, zerren, verdichten, komprimieren und das (und das ist ja eigentlich das Erstaunliche), ohne das Objekt selbst zu zerstören. Ein Vogelgezwitscher bleibt im Grunde immer ein Vogelgezwitscher, egal ob es jetzt im Ende wie ein Düsenflugzeug, eine Mülltonne, ein HiHat oder ein Baby klingt. Es ist, als ob aber schon von vornherein alle nur möglichen "Geschichten", die zu schreiben wären, in dem Objekt bereits von Anfang an vorhanden sind und es auch bloss Zufall ist, dass dieses vorderhand sich scheinbar als Vogel materialisiert hätte und eben nicht als Mülltonne. Natürlich ist die Entwicklung der Technik der letzten Jahre da von Vorteil. Ujvary kann diese Transformationen anstellen, weil sie ausschliesslich an der virtuellen Maschine arbeitet, deren integrativer Bestandteil sie selbst als Cyborg geworden ist. Ihre Leistung als Cyborg ist, dass sie die Möglichkeiten dieser Mensch-Maschinen-Vermählung innerlich begreift und ausschöpft. (Und das heisst jetzt nicht unbedingt, dass sie die Technik, die sie verwendet, restlos begreifen muss. Es heisst, dass sie die Möglichkeitsfelder, die diese Technik bereithält, begehen kann.) Schrödingers Katze. Was uns im sogenannten "täglichen Leben" so schwer fällt zu akzeptieren, ist in der virtuellen Maschine zur Selbstverständlichkeit geworden. Solange die Katze in Ujvarys Computer steckt, ist sie natürlich tot und lebendig zugleich und nicht nur das, sie hat noch dazu unzählige andere Seinszustände, die wir wahrscheinlich noch nicht einmal benennen können. ¦ weiter zu 4. Der Rhythmus ¦ |
5 | "Da liegen dann die Worte so herum", Ferdinand Schmatz zitiert Liesl Ujvary; aus seinem Vortrag vom 11. 3. 2004 im literarischen quartier alte schmiede, Wien |