Vor kurzem musste ich in einem Haus am Land einen Wasserrohrbruch behelfsmäßig reparieren. Dadie Wasserzuleitung unzugänglich, unterhalb des Gebäudefundaments gebrochen war, suchte ich dieStelle wo sie aus dem Fundament ins Haus kam. Dort zersägte ich die Leitung und verschloss sie mit einem angelöteten Stopfen. Im Garten, etwa 10 Meter vom Haus entfernt, befand sich der Hauptwasserschacht. Von dort verlegte ich, um die gebrochene und nunmehr gekappte Hauptwasserleitung zu umgehen, einen Gartenschlauch, den ich, durch einen vor rund dreißig Jahren stillgelegten Senkgrubenkanal, bis zum Haus einfädelte. Im Haus benutzte ich eine Schlauchklemme und verband den Schlauch mit einem Wasserhahn in einer Abstellkammer. Sobald ich alle Ventile geöffnet hatte, wurde nun das gesamte Rohrsystem des Hauses über diesen Punkt gespeist. In einem geschlossenen Leitungssystem kann die Richtung beliebig variiert werden. Es ist lediglich der Druck der die Flussrichtung bestimmt.
Zur gleichen Zeit beschäftigte ich mich mit einem Manifest des Schweizer Künstlers Thomas Hirschhorn. „Das Museum der Zukunft“ - In diesem Manifest aus dem Jahr 2015 postuliert der Installationskünstler die Absicht Museum und Institution als öffentlichen Raum zu verstehen und über dieses Verständnis einen Transformationsprozess zu starten. Das Manifest folgt diesem Gedanken über acht Punkte. Das fünf Seiten fassende Originalmanifest über die Notgalerie website www.notgalerie.at heruntergeladen werden. (Ebenso findet man dort ein umfassendes Portfolio über die Notgalerie und alle Aktionen).
Die Gegenwärtige Situation, in der ein Shutdown den kompletten Institutionsbetrieb zum Erliegen brachte, bedeutet einen groben Riss im gesamten Apparat. Das Gefüge unseres Kulturbetriebes erfährt in der akuten Lage eine tiefe Veränderung.
Im Verhältnis von Institution / Museum zu öffentlichem Raum ist die Notgalerie ein Hybrid. Durch eine Reihe von Aktionen und Handlungen konnte sie sich über die letzten Jahre, seit ihrer Gründung2015, als alternative Strategie zur institutionalisierten Kunstpraxis positionieren.
In meinen Bemühungen die Notgalerie in diesem Sommer 2020 auf die gegenwärtige Situation vorzubereiten, habe ich mir die Freiheit genommen, Auszüge aus dem Manifest von Thomas Hirschhorn zu nehmen und die Flussrichtung zu ändern.
Das zentrale Moment der Notgalerie bestand seit Gründung 2015 im Verständnis kuratorischen Handelns und des System Kunst-Institution, als Material zur Schaffung eines neuen Werk-Körpers. Es war eine Strategie, die die Infiltration und Visualisierung der Kunst-Institution zum Ziel hatte und dabei den Körper der verlassenen Holzkirche als ideales Gefährt für diese Überfahrt verstand. Der Ort symbolisierte eine kollektive Identität des Glaubens und war dabei aber gleichzeitig eine leere architektonische Hülle. Dieses Verhältnis ließ wechselseitige Einschreibungen zu, die ab dem Zeitpunkt der Zerlegung und dem Neuaufbau in der Seestadt 2017, dazu führten, dass die Notgalerie nicht mehr nur als Kommentar zum System Kunst-Institution gelesen wurde, sondern selbst als solche im Diskurs auftauchte. Dabei blieb aber das Material der Notgalerie von Beginn andem Prekariat, aus dem heraus das Projekt entstand, verbunden. Im tatsächlichen Nebeneinander zu Institution und Museum, bleibt sie Treibholz, zwischen den großen Institutionsschiffen. In dem Moment jedoch, in dem diese Systeme heruntergefahren wurden, wird auf einmal deren sonst so unantastbare Legitimation, die schlichtweg darauf beruht, dass diese Apparate, in einer aus sich selbst heraus kreierten Begrifflichkeit laufen und funktionieren, lose und brüchig.Die Notgalerie erfüllt in diesem Moment ihre Aufgabe als Hybrid und wird im Sommer 2020 in der Funktion als Museum der Zukunft aufgeführt. Die Erfüllung dieser Aufgabe, in der sie als selbstständige, Raum einnehmende Institution auftreten wird, wird gleichzeitig der Prozess der Auflösung der materiellen Institution und ihrer pauvren Materialen sein. Nicht die Künstler*innen und alle weiteren Akteure sollen der Institution zugewandt sein und die Erfüllung ihrer Arbeit im Erreichen der Institution sehen. Die Akteure selbst sind die Institution und Heimat. Frei nach Immendorf - „Ich werde nicht dulden dass ihr mich alleine lasst“ wird die Notgalerie ein letztes mal zerlegt und ihre Teile den Künster*innen, Akteur*innen und Orten anvertraut. So wird ein neuer Institutionskörper errichtet, der einer gänzlich anderen Flussrichtung folgt.
Über den Zeitraum der nächsten Wochen kann an diesem Konzept gearbeitet werden. Dabei ist der Diskussionsraum gleichzeitig schon Möglichkeitsraum für Kunst und Kulturschaffende, ihn in seiner aktuellen Form als Bühne / Plattform zu nutzen. Ein Beispiel dafür ist die heute gezeigte Ausstellung „Christoph Schwarz ist nicht da“ des Filmemachers Christoph Schwarz. Mit Anfang Juli beginnt die tatsächliche Umsetzung dieses Konzepts. Der Zerlegungsprozess wird bis September abgeschlossen sein. In diesem drei monatigen Zeitraum werden über die ständige Präsenz, die der Abbau erfordert, tägliche Öffnungszeiten ermöglicht. Die sich zerlegende Notgalerie bietet dabei verschiedenste Settings.
Die Notgalerie und das gesamte Areal sollen über diesen Zeitraum als Plattform für ein breites Spektrum an Kunst- und Kultur-schaffenden zugänglich sein. Kontakt und Gespräche dazu sind ab sofort möglich.
Ich würde mich freuen wenn Sie / Du an diesem Diskurs teilnehmt und diesen Sommer sowohl diese Plattform nutzt und auch Teile davon für den Zeitraum von ein bis drei Jahren aufbewahrt.
Reinhold Zisser
Reinhold Zisser ist österreichischer Künstler, geboren 1980 in Wien. Er studierte Philosophie, Theater- Film- und Medienwissenschaft und schließlich Malerei an der Fachhochschule in Wien.
Ein zentrales Merkmal der Arbeiten von Reinhold Zisser ist in den letzten Jahren die Reflexion und Darstellung der Beziehung zwischen Künstlern und Institutionen. In seinen Arbeiten versteht er kuratorisches Handeln und die "Systemkunstinstitution" als Material zur Erzeugung künstlerischer Arbeiten. Der Künstler schlüpft wie ein Einsiedlerkrebs in neue Muscheln, die er wechselt und wieder verlässt. Für diese parasitäre Strategie der Infiltration und Visualisierung der Kunstinstitution(en) als Form(en) verwendet er verschiedene Materialien und Strategien. Einer von ihnen war der Körper einer verlassenen Notkirche, die er 2015 gefunden hatte. Ein Ort, der eine kollektive Identität des Glaubens symbolisiert, aber in Wirklichkeit nur eine leere architektonische Hülle ist. Darüber hinaus ist diese Holzkirche eine Referenz eines historischen Moments, eines Ruinengebäudes aus dem Zweiten Weltkrieg. Dieses Material wurde zum Körper des Golems, der durch die Zeichen der Notgalerie zum Leben erweckt wurde.
Reinhold Zisser wurde kürzlich mit dem österreichischen Staatsstipendium für bildende Kunst und einem Stipendium des Otto Mauer Fonds ausgezeichnet. Er gründete Projekte wie Notgalerie, MUSOÄ (Museum für soziale Ästhetik), den Künstler Space LLLLLL und das Kunstland Nord. Detaillierte Informationen finden Sie auf seiner Website.